Frau an Bord (Das Kleeblatt)
so viel von dir lernen können. So viel mehr, wenn du mir bloß die Chance dazu gegeben hättest. Aber du wirst schon sehen, ich werde allen beweisen, dass ich es kann. Und wenn ich Tag und Nacht schuften muss, letzten Endes wirst du stolz auf mich sein.
Vollkommen überwältigt begutachtete sie die Geräte und Apparate. Die Ausrüstung befand sich auf dem neuesten Stand der Technik. Handbücher und Ordner mit Anweisungen, Gesetzblättern und internen Informationen der Reederei standen in Reih und Glied in den Regalen. Nirgends konnte sie einen Krümel Staub entdecken. Selbst die Bleistifte waren akkurat gespitzt und lagen gleichmäßig ausgerichtet in der Ablage.
Mit einem verlegenen Lächeln steckte sie sich eine abtrünnige Haarsträhne hinters Ohr. Es würde sie gewiss eine Menge Anstrengung kosten , sich an diese Ordnung zu gewöhnen. Wahrscheinlich würde sie mehr Zeit mit Aufräumen zubringen als mit ihrer eigentlichen Arbeit, falls der Alte erwartete, dass sie diesen Zustand beibehielt. Welcher Pedant mochte wohl ihr Vorgänger gewesen sein? Und weshalb fuhr er nicht auch diese Reise mit?
Sie trat einen zaghaften Schritt nach vorn und strich, während sie eine andächtige Runde durch das Schapp drehte, mit einer liebevollen Geste über die Sender und Empfänger, den Fernschreiber und Wetterkartenschreiber, die elektronische Schreibmaschine und – Susanne jubilierte in den höchsten Tönen – das Funktagebuch. Wie lange, wie sehnsüchtig und ungeduldig hatte sie auf diesen Augenblick gewartet?
Sie fragte nicht nach, als sie der Kapitän mit den Worten: „Die werden Sie ledigli ch zum Zeitvertreib benötigen“ schneller, als ihr lieb war, wieder aus dem Raum drängte. In Gedanken schrieb sie bereits die erste Eintragung in das Funktagebuch. Ob sie heute noch ihren Eltern ein Telegramm schicken sollte? Auch ihrem Bruder Jasdan hatte sie versprochen, sich sofort nach dem Aufsteigen zu melden.
Neugierig ließ sie ihre Blicke in alle Richtungen schweifen. Sie wollte nichts verpassen oder übersehen und vor allem wollte sie sich nicht wieder so dusslig anstellen wie auf der „Fritz Stoltz“, als sie nicht einmal ihre Kammer gefunden hatte.
Bloß nach vorne wagte sie aus gutem Grund nicht zu schauen. Außer breiten Schultern, schmalen Hüften und ellenlangen Beinen, die durch ihren sanft wiegenden Gang den Seemann verrieten und zu einem Astralkörper anstatt zu einem Menschen aus Fleisch und Blut zu gehören schienen, konnte sie ohnehin nichts erkennen.
Großer Gott, wie gelassen er dahin schritt! Seine Bewegungen waren fließend und geschmeidig und zeugten dennoch von einem gebieterischen Stolz. Der verführerische Anblick seiner Rückseite ließ Susannes Fantasie wilde Blüten treiben. Alles an ihm strotzte vor Kraft und Energie und Selbstbewusstsein.
„Autsch!“
Sie erwachte unsanft aus ihren Tagträumen, als sie gegen etwas prallte, das sich wie eine Ziegelmauer anfühlte. Verwirrt stolperte sie einen Schritt zurück und hob den Kopf.
Unvermittelt war der Alte auf dem Gang stehengeblieben. Im Zeitlupentempo drehte er sich zu ihr um. Und in diesem Moment wurde Susanne klar, was sie wirklich an ihm fesselte: es waren diese tiefblauen, durchdringenden Augen, die jedes seiner Gefühle widerspiegelten und sie mit einem heftigen Stich im Herzen an Adrian erinnerten. Jeden Schmerz hatte sie darin gelesen, sein Verlangen, seine Freude, Trauer und … einfach alles, was er nicht mit Worten auszudrücken vermochte.
Der Blick, mit dem der Kapitän jetzt unverhohlen ihre hundertfünfundfünfzig Zentimeter vom Kopf bis zu den Zehen musterte, war direkt und unverschämt. Er betrachtete sie, als hätte er sie wegen ihrer geringen Körpergröße erst in eben dieser Sekunde entdeckt und müsste nun nachholen, was ihm bislang entgangen war. Die Finger der rechten Hand kratzten an seinem Hinterkopf, ein neckisches Grinsen umspielte die Lippen des Mannes und beschleunigte Susannes Puls. Ihre Ohren liefen langsam rot an.
Bitte nicht! stöhnte sie auf. Und schau mich nicht so an, Clausing, bat sie flehentlich. Ich liebe diese süßen Grübchen in deinen Wangen, wenn du schmunzelst.
„Was ich Ihnen sagen wollte …“, begann er zögerlich und schloss d en Mund, ohne den Satz zu Ende zu sprechen.
„Ich muss Sie darauf hinweisen …“ , unternahm er einen erneuten, wenngleich vergeblichen Versuch.
„Ja?“, fragte Sus anne mit einem scheuen Blick von unten herauf. Ihr wollte einfach nicht einfallen, was sie
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