Frau an Bord (Das Kleeblatt)
gleichen Supermarkt einkaufte. Sie konnten nicht nachvollziehen, wo ihre Rastlosigkeit herkam und der Drang, mehr zu erleben und etwas anderes als all die anderen zu tun, der sie schließlich aus ihrem Heimatort fort und in die weite Welt hinaus gezogen hatte.
Nach dem allgemeinen Gelächter ihrer Familie hatte sie sich schließlich derart in ihrem kindlichen Stolz verletzt gefühlt, dass sie von da an all ihren Ehrgeiz auf dieses eine Ziel konzentrierte. Ich werde zur See fahren! Und nun erst recht! Sie schob ihre Sturheit vorzugsweise ihrem Sternzeichen in die Schuhe, was zur Folge hatte, dass sie schon eine Menge unsinniger Dinge in ihrem Leben zuwege gebracht hatte.
Trotzdem hatte sie nicht eine dieser Dummheiten bereut.
Vergnügt warf sie ihre Reisetasche auf das Bett und schaute sich in der Kammer um. Quatsch, von wegen Kammer ! Eine Offizierskabine! Ihr Zuhause für die nächsten Wochen. Nicht übel. Sie war sogar mehr als bloß angenehm überrascht. Mit verhältnismäßig geringem Aufwand ließ sich daraus eine gemütliche Bleibe machen – ein paar Aquarelle ihrer Freundin Karo an die Wand gepinnt, bisschen Grünzeug ins Regal gestellt, die Gardine ein wenig drapiert und schon würde die Kajüte mit Leichtigkeit die Assi-Kammer, in der sie auf der „Fritz Stoltz“ hausen musste, ausstechen. Hier würde sie sich zweifellos gerne aufhalten. Hier konnte sie das Schott hinter sich schließen, ohne das Gefühl zu haben, in der Enge zu ersticken, und zu ihrer inneren Ruhe zurückfinden.
Denn auf der „Heinrich“ gab es keine Stewardess, der sie beim Eindecken in der Messe helfen würde, mit der sie nach getaner Arbeit exquisiten Kaffee trinken und sich über den Koch halbtot lachen konnte. Keinen Adrian, mit dem sie die Nächte verbrachte. Keinen Decksmann, der an ihrer Seite jeden Landgang mitnahm und ihr die Sterne zeigte. Keine Mannschaft, die sich nach Feierabend in ihrer Kammer versammelte. Hier gab es niemanden für sie, der sie von der Arbeit ablenken würde.
Und dafür sollte sie dankbar sein, denn s ie konnte nicht zulassen, dass ihr irgendetwas wichtiger wurde als ihre Arbeit.
S usanne ließ sich neben ihre Tasche auf das Bett sinken, verschränkte die Hände im Nacken und lehnte sich entspannt zurück. Im Eingangsbereich des Zimmers war ein geräumiger Kleiderschrank in die Wand eingebaut, gegenüber hingen eine Garderobe aus Polaresche und ein mannshoher Spiegel. Neben der Eingangstür versteckt befand sich das Bad. Ein eigenes Bad, jubilierte sie, welches sie sich nicht mit der Stewardess teilen musste wie damals. Oder in das jeder nach Gusto hereinplatzte.
Herrjeh, mach Schluss mit diesen Vergleichen! Die Zeit an Bord der „Fritz Stoltz“ ist vorbei. Das Schiff hat sein ewiges Grab auf dem Grund des Atlantiks gefunden. Simone hat man nicht gefunden, genauso wenig wie Svend Berner. Und Ossi …
Was wohl aus ihm geworden ist?
Botho war der Einzige, dem sie im zurückliegenden Jahr zwei-, dreimal auf der Straße begegnet war. Bis sie auch diesen Kontakt abgewürgt hatte, weil sie erkennen musste, dass sie zwei Menschen waren, die in einer Nacht so viel durchgemacht hatten, dass für weitere gemeinsame Erlebnisse einfach kein Platz mehr in diesem Leben war. Nicht einmal für ein kurzes „Hallo“ oder gar eine längere Unterhaltung bei einem Kaffee.
Schluss jetzt ! Heute übertreibst du es aber gehörig! Komm, Tasche auspacken. Reiß dich am Riemen und mach dich zurecht für das Abendessen. Schaulaufen ist angesagt.
Sie setzte sich auf und öffnete mit einem heftigen Ruck den Reißverschluss ihrer Tasche. Während sie ihr Adressbuch aus einem Stapel säuberlich geordneter Wäsche fischte, sinnierte sie, wem sie als erstes von ihrem Aufstieg auf diese schwimmende Badewanne berichten sollte. Wusste irgendjemand, abgesehen von ihrer Familie, dem blond gefärbten Decksi Ronny Skujin und der Therapeutin, dass sie wieder aufgestiegen war?
Hauptsache, keine Minute ins Grübeln gerate n! Ruhe, Langeweile, Besinnung – sie wusste, diese Dinge waren Gift für ihren Seelenfrieden. Sie hatte sie für alle Zeiten zu meiden wie die Pest.
Halbherzig blätterte sie ihr noch unbenutztes Adressbuch durch , ein Abschiedsgeschenk ihrer fürsorglichen Eltern, die nach den Schrecken des letzten Jahres ihre Tochter am liebsten zu Hause festgebunden hätten. Sie konnten nicht begreifen, dass sie Susanne mit ihrer übermäßigen Fürsorge erneut aus dem Haus trieben. Leider hatten weder ihre Eltern noch
Weitere Kostenlose Bücher