Frau an Bord (Das Kleeblatt)
den Notruf gehört. Zufällig! Und diese lächerlichen vier Schiffe suchten neunundzwanzig Seemeilen südlich von der tatsächlichen Position der gesunkenen „Fritz Stoltz“! Und erst sechsunddreißig Stunden nach dem Untergang wurde dieser Irrtum bemerkt. Erst sechsunddreißig verflucht lange Stunden später war mit einer effektiven Suche nach ihnen begonnen worden. Sechsunddreißig Stunden zu spät für die elf Seeleute, die von dieser Reise nicht mehr zurückkehrten.
Selbstverständlich trug der Funker einen Teil der Schuld! Und sie als Assistentin hatte keine Ahnung von diesem fatalen Fehler gehabt. Und selbst wenn, hätte sie mit ihrem Eingreifen irgendetwas ändern können? Die Katastrophe als solche hätte sie freilich nicht aufgehalten, doch ein rechtzeitig und richtig abgesetzter Notruf hätte Menschenleben retten können.
Sissi und Svend würden noch leben!
„Sie als Kapitän wissen so gut wie ich, dass unter Umständen Leben auf dem Spiel steht, wenn der Funker in einer Gefahrensituation versagt. Es ist vollkommen egal, ob wir lediglich ein paar Stunden durch die Nordsee fahren oder mehrere Tage über den Atlantik.“
„So habe ic h das natürlich nicht gemeint.“
Was eine faustdicke Lüge war. Zumindest besaß er genug Anstand, dass sich seine Ohren leicht röteten.
„Wenn ich jetzt nicht bleibe, werde ich nie wieder ein Schiff betreten“, bemerkte Sus anne leise, „sagt meine Psychologin.“
Na, Prost Mahlzeit, auch das noch! Clausing schlug im Geist die Hände voll Verzweiflung vors Gesicht. Verpfuscht von irgendwelchen Seelenklempnern! Das kann gar nicht anders als voll in die Hose gehen. Lass die Finger von ihr, Alter! Dieses Mädchen ist eine einzige Katastrophe. Sie wird dein Untergang sein.
„Und was sagen Sie selbst?“
„Ich?“ Unsicher zuckten ihre schmalen Schultern.
Ihre Frage klang ehrlich überrascht. War sie denn nie auf die Idee gekommen, sich ihre eigenen Gedanken darüber zu machen?
Dieses Kind bringt dich ins Grab. Du wirst dir nicht nur die Finger verbrennen.
Der Funkoffizier trug die alleinige Schuld an der viel zu spät eintreffenden Hilfe. Diese Vorwürfe waren selbstredend niemals laut ausgesprochen worden, stattdessen waren Worte gefallen wie „zu schweigen gebietet die Funkerehre“ und „lasst Tote in Frieden ruhen“. Susanne hatte die Anschuldigungen trotz allem herausgehört. Sie war ebenfalls als Funker an Bord gewesen und hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als seelenruhig schlafen zu gehen. Sie hatte sich sogar noch mit Tabletten zugedröhnt, damit sie in dieser Nacht auch wirklich nichts mitbekam.
Und sie hatte nicht den blassesten Schimmer davon gehabt, dass bereits zu diesem Zeitpunkt das tragische Schicksal ihrer Freunde Simone und Svend besiegelt war.
„Weiß nicht“, hörte der Kapitän endlich ihre vage Antwort. „Sie hat wohl Recht. Ja, ich habe Angst. Ich hasse das Meer, obwohl ich es mehr als alles andere vermisst habe. Es hat mir so viel gegeben … und im gleichen Moment alles wieder genommen. Ist schon eine verrückte Sache mit der Seefahrt. Ich …“ Susanne winkte seufzend ab. „Ich hatte in der Tat geglaubt, ich wäre darüber hinweg.“
Und w eshalb erzählte sie ihm das? Das waren ihre Probleme, ganz allein ihre. Was für einen Eindruck musste er jetzt von ihr haben? Hielt er sie für exaltiert oder gar verrückt? Oder belächelte er lediglich ihre Angst und Unsicherheit? Sah er in ihr nichts als ein hysterisches Frauenzimmer, blond – Natürlich, was konnte man schon anderes erwarten? –, die sich mit zickigem Getue interessant zu machen versuchte, weil sie sonst nichts zu bieten hatte? Sie biss sich auf die Unterlippe, nahm ihre Kaffeetasse in die Hand und führte sie auffallend bedächtig zum Mund. Sie wollte nicht mehr darüber reden.
„Sie haben den ersten Schritt getan , was immer das Schwierigste ist, nämlich Ihre Koffer gepackt, weil die Arbeit in der Nachrichtenzentrale tatsächlich nicht mit der an Bord zu vergleichen ist. Sie wollen fahren. Sie wollen die salzige Seeluft atmen und den Wind spüren, der Ihnen das Haar zerwühlt. Sie brauchen die Weite des Meeres vor Augen. Und ich brauche Sie hier, auf diesem Schiff.“
Er beobachtete, wie sie mit sich rang, wie sie abwägte und alles hinterfragte, was ihr bis zu diesem Zeitpunkt klar erschienen war. Sie wollte fahren, da gab es keinerlei Zweifel. Und er brauchte nicht bloß einen Funker für diese Reise, sondern spürte mit ebensolcher Dringlichkeit, wie
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