Frau an Bord (Das Kleeblatt)
Gott, wenn er Befehle erteilen konnte und Krethi und Plethi nach seiner Pfeife tanzen ließ.
Eine bodenlose Frechheit, grummelte sie noch einmal. Sie verwendete Make-u p seit … seit Ewigkeiten! Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal, ohne Schminke im Gesicht zu haben, außer Haus begeben hatte. Na schön, wenn der Herr es so wünschte, sollte er seinen Willen eben haben. Sein Wutanfall bei ihrer Begrüßung war nicht vergessen und sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass der in ihm schlummernde Vulkan jederzeit erneut ausbrechen konnte. Dann eben keine Farbe für ihre bleichen Wangen und Lippen, denn genau genommen beabsichtigte sie nicht wirklich, das Haus zu verlassen, was bedeuten würde, von Bord zu gehen.
Ob sie sich eines Tages ausschließlich an Bord und nirgends sonst auf der Welt wohlfühlen würde wie der Elektro-Ingenieur von der „Fritz Stoltz“, Peter Reiter?
Ihre Gedanken schweiften zu Ronny Skujin, der sie im Krankenhaus besucht hatte. Die Kopfverletzung, welche er sich während des letzten Bordabends zugezogen hatte, stellte sich im Nachhinein als so gravierend heraus, dass er sich bei der Ankunft der Verletzten der „Fritz Stoltz“ noch immer zur Behandlung in der Klinik befand. Jeden Tag hatte er an Susannes Bett gesessen und ihr vom Verbleib der gemeinsamen Bekannten von der „Fritz Stoltz“ berichtet.
Nein, von Adrian hatte er weder etwas gesehen noch gehört. In diesem Krankenhaus zumindest hielt er sich nicht auf, das wusste er sicher, da er sich bei allen Schwestern nach ihm erkundigt hatte, wie er ihr mit einem Augenzwinkern verriet. Vermutlich hatte der Koch das Inferno unbeschadet überstanden und war gleich in Richtung Heimat ausgeflogen worden. Ob er sich wie Peter Reiter nach dem Untergang der „Fritz Stoltz“ sofort ein neues Schiff und damit das Weite gesucht hatte?
Sie hatte aufrichtig bedauert, dass nicht einmal die Tragödie dieser stürmischen Nacht im Atlantik etwas am unterkühlten Verhältnis des herzensguten Elektro-Ingenieurs zu seiner Familie änder n konnte.
Stundenlang hatte sie in jenen Tagen gegrübelt und versucht, sich ihre eigene Zukunft vorzustellen. Nicht in den nächsten fünf Jahren, da würde sie zweifelsohne die Weltmeere bereisen. Doch würde es vielleicht auch ihr in zehn Jahren so ergehen wie dem E-Ing, der den Abschied von der Seefahrt von einem aufs andere Jahr verschob, in Wirklichkeit aber nie ernsthaft ans Aufhören dachte? Oder stand ihr das Schicksal einer Kollegin aus der Nachrichtenzentrale bevor, die mit vierzig Jahren endlich an Land sesshaft werden wollte und nun Überstunden um Überstunden schob, weil sie zu Hause nichts anderes als eine leere Wohnung, Einsamkeit und quälendes Fernweh erwarteten?
Der Teppichboden auf den Gängen der Aufbauten dämpfte die Schritte der Männer, die ein Deck tiefer in die Messe strömten , gleichwohl waren sie für Susanne deutlich genug zu hören und gaben auch ihr unmissverständlich das Zeichen zum Aufbruch. It’s show-time!
Sie warf einen letzten abschätzenden Blick auf ihr Spiegelbild. Schnell fasste sie ihr Haar mit eine r Spange im Nacken zusammen und drehte sich entschlossen zur Tür um, wollte sie doch um jeden Preis vermeiden, als Letzte die Messe zu betreten und dann wie bei einer Viehauktion von allen Interessenten gemustert zu werden. Diese Peinlichkeit sollte ihr nie wieder passieren!
Entgegen aller Befürchtungen ging das erste Abendessen für Susanne an Bord überraschend easy und cool über die Bühne, sodass sie im Nachhinein über ihre nervösen Bauchschmerzen höchstens verschämt lächeln konnte.
Wie se lbstverständlich hatte Clausing sie zu sich gewunken, als sie zögernd, vorsichtig fast die Messe betreten und sich schüchtern umgeschaut hatte. Sie war seiner einladenden Geste gefolgt und hatte an der für den Kapitän reservierten Back Platz genommen. Später hatte er sie ganz unkonventionell den nach und nach eintreffenden, so gar nicht pünktlichen Offizieren vorgestellt, dem Chief Officer und Chief Engineer, dem Second Mate und First Engineer.
Da sich Sus anne deren Namen ohnehin nicht auf Anhieb merken würde, begnügte sie sich fürs Erste damit, die Gesichter der Männer den entsprechenden Diensträngen zuzuordnen. Auf der Brücke hätten ihr die Uniformen zumindest ein wenig dabei geholfen, in abgeschnittenen Jeans und kariertem Hemd oder schlabbrigem Pulli dagegen unterschieden sich die Offiziere vom Rest der Besatzung lediglich
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