Frau an Bord (Das Kleeblatt)
Deck höher ins Funkschapp.
Er war mit Susanne Reichelt noch lange nicht fertig!
Mit würdevollem Kopfnicken nahm er ihre neuerliche Entschuldigung zur Kenntnis. Er würde sie genau im Auge behalten, drohte er mit grimmiger Miene.
„Selbstverständlich, Kaptein“, pflichtete sie ihm kleinlaut bei und knetete vor lauter Verlegenheit ihre Hände. „Sind Sie …“, nervös trippelte sie von einem Bein auf das andere, „böse auf mich?“
Ihre unschuldige Frage entwaffnete ihn, ließ seine Wut wie einen Luftballon zusammenschnurren, in den jemand mit einer Nadel gepiekt hatte. Aber er wollte wütend sein. Er hatte ein Recht darauf, wütend zu sein!
Oh nein, süße Susanne, ich werde dir die Gründe dafür bestimmt nicht erklären. Zum Teufel mit dir! Siehst du denn nicht, wie deine Nähe meinen Seelenfrieden stört? Ich kann das nicht gebrauchen! Niemals! Auf jeden Fall nicht, solange ich Kapitän auf diesem Schiff bin!
„Kann es sein, dass Sie sich selbst zu wichtig nehmen, wenn Sie glauben, ich sei böse auf Sie? Für derartige Kindereien fehlt mir entschieden die Zeit. Ich erfülle meine Aufsichtspflicht als Schiffsführer, wenn ich mit Ihnen rede, nichts sonst.“
Er hätte sie ebenso gut ohrfeigen können, so verletzt fühlte sie sich in dieser Sekunde. Instinktiv kroch Susanne in sich zusammen. Natürlich hatte er Recht. Wie kam sie auf die Idee zu glauben, er würde für sie mehr als die Verantwortung des Kapitäns für ein Besatzungsmitglied empfinden? Wie konnte sie sich dermaßen lächerlich machen?
Glücklicherweise war es ihr nicht möglich, seine Gedanken zu lesen, denn Clausing verfluchte sich mindestens ebenso heftig wegen seiner harten Worte. Sein Mangel an Disziplin und Beherrschung verstimmte ihn mehr noch als Suses vorlautes Mundwerk. Er kam sich wie ein erbärmlicher Schuft vor, ein ungehobelter Klotz, der einmal mehr seine guten Manieren vergessen hatte.
Und er entschuldigte sich damit, Susanne Reichelt nur auf diese Weise auf Distanz halten zu können.
Nach der ersten Arbeitsberatung machte sich Susanne mit Feuereifer ans Werk. Bald schon verließ sie Funkschapp und Brückendeck lediglich zum Schlafen oder wenn sie sporadisch an die Essenszeiten dachte. Der Ehrgeiz setzte ungeahnte Kräfte in ihr frei und vertrieb ihre anfänglichen Ängste und Bedenken. Sie vergaß nahezu alles um sich herum.
Nichtsdestotrotz hatte sie sehr wohl registriert, dass der Alte keineswegs so nachtragend wie sie selber war. Es schien, als hätte er die kleine Auseinandersetzung in seiner Kabine längst zu den Akten gelegt, was sie ihm hoch anrechnete. Sie wusste, wie hart es war, über den eigenen Schatten zu springen.
Als Dank für seinen Großmut gab sie hin und wieder seinen mal höflichen, mal besorgten Aufforderungen nach, endlich eine Pause einzulegen und mit ihm auf der Brücke einen seiner Spezial-Kaffees zu trinken. Mitunter brachte er ihr sogar einen Teller belegter Brote, wenn beim Essen ihr Platz an seiner Back wieder einmal unbesetzt geblieben war. Mit vielen Grüßen vom Wirtschaftspersonal, wie er behauptete. Und dabei blickte er unauffällig zur Seite, bis sie ihm eifrig versicherte, es hätte hervorragend geschmeckt.
Sie wagte nicht zu fragen, ob ihr Adrian noch etwas anderes hatte ausrichten lassen oder ob d er Imbiss nicht vielleicht von ihm, dem Kapitän höchstselbst, war.
Angesichts der Unmengen an Arbeiten und Aufgaben, die vor ihr, der Funkstellenleiterin, lagen, war es kein Wunder, dass sie nach der Begrüßungsfeier am ersten Abend Adrian nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Spätabends fiel sie todmüde in ihr Bett, um mit schon halb geschlossenen Augen festzustellen, dass sie noch immer nicht die Aquarelle ihrer Freundin aufgehängt hatte und sogar ihr Tagebuch sträflichst vernachlässigte. Bevor sich allerdings schlechtes Gewissen einschleichen und sie an diesem Zustand etwas ändern konnte, war sie erschöpft eingeschlafen.
Dr ei Tage später jedoch genehmigte sie sich einen langen Feierabend. Hochzufrieden mit sich, da sie es fertiggebracht hatte, einen elektronischen Antennenverteiler in Betrieb zu nehmen, öffnete sie eine Flasche Vermouth, die seit Beginn der Reise unbeachtet im Kühlfach vor sich hin gammelte.
Jaja, dämpfte sie halbherzig ihre euphorische Stimmung , selbstverständlich würden parallel zu der neuen Anlage die herkömmlichen Empfangsantennen betrieben werden. Sicherheitshalber. Dennoch war sie der festen Überzeugung, dass der Verteiler
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