Frau an Bord (Das Kleeblatt)
Reaktion von ihm erwartet und sollte seine Einsilbigkeit endlich akzeptieren. Aber nein, sie war noch immer ganz versessen darauf, hinter seine Geheimnisse zu kommen, obwohl er sie deutlich genug in ihre Schranken gewiesen hatte. Würde es ihr je gelingen, ihm bedingungslos zu vertrauen und mit dieser dämlichen Fragerei aufzuhören?
„Ist ja nichts dabei, in Irland geboren zu sein und eine wunderschöne Stimme zu besitzen“, murrte sie. „Oder weshalb bist du dermaßen verschnupft?“
Plötzlich sprang er auf und trat einen Schritt auf sie zu. Genauso abrupt hielt er inne und wanderte gleich darauf wie ein gefangener Tiger vor ihr auf und ab, unschlüssig, ob er zum vernichtenden Sprung ansetzen oder sich geschlagen geben und wie ein zahmes Kätzchen friedlich schnurrend niederlegen sollte.
„Du willst also keine Ruhe geben, sondern die Wahrheit erfahren? Wird dich das glücklich machen? Glaubst du das wirklich?“
Er ließ sich von niemandem drängen , über seine Vergangenheit zu reden, eine Vergangenheit, die er so tief wie irgend möglich begraben hatte in der Hoffnung, sie zu vergessen. Nicht mal ihr, der Frau, die schon so viel von seinen Geheimnissen freigelegt hatte, sollte er davon erzählen! Er rammte die Fäuste in die Hosentaschen und instinktiv zog Suse den Kopf ein. Leider war ihm klar, dass sie nicht nachgeben oder gar aufgeben würde.
„ Also gut, ich werde dir deine Fragen beantworten. Was kümmert es mich? Nicht ich bin es, der dabei etwas zu verlieren hat.“
Oder doch? Was war mit Suse? Selbst wenn er sie nicht verlor, war er davon überzeugt, dass er mit einem ehrlichen Geständnis zumindest ihre Zuneigung und Freundschaft aufs Spiel setzte.
Seine Stimme klang in demselben Maße beherrscht, wie sein Herz außer Kontrolle geraten war. „ Allerdings bitte ich dich um eins: Wirf mir hinterher nicht vor, dir deine Träume geraubt zu haben. Lass mich also nachdenken. Die Wahrheit. Großer Gott, sie will die Wahrheit wissen“, überlegte er laut. „Da fällt mir zunächst ein, dass ich keinen blassen Schimmer davon habe, wo und wann ich geboren wurde, denn meine Geburtsurkunde ist eine teuer bezahlte Fälschung. Meine Mutter war wie ihre Eltern ein Einzelkind, eine Waise, und ließ sich mit einem verheirateten Mann ein. Aber damit nicht genug, sie starb wenige Wochen nach meiner Geburt unter äußerst fragwürdigen Umständen. Als Kind habe ich Gerüchte gehört, in denen sogar von Mord die Rede war. Ich kann also mit Fug und Recht behaupten, ein Niemand zu sein, nicht Deutscher und nicht Ire, aufgewachsen bei fremden Menschen, mal hier, mal da. Nirgends zu Hause. Und nirgends willkommen.“ Er flüsterte die letzten Worte und seine Stimme klang so rau, als würden sie ihm im Hals stecken bleiben.
Für einen Augenblick war er mit seinen Gedanken meilenweit weg. Die stille Verzweiflung auf seinem Gesicht brach Suse das Herz. Sie wollte zu ihm und ihn festhalten, berühren oder irgendetwas für ihn tun. Doch er kam genauso schnell wieder zurück, wie er verschwunden war.
„ Verstehst du jetzt, dass ich nicht darüber reden kann? Ich … kann … es … nicht!“
Sie konnte nur stumm nicken, fassungslos über den Sturm, der gerade über sie hinweggefegt war. Unerwartet griff er nach ihr, so schnell, dass sie die Bewegung seiner Hände nicht sah und den schmerzhaften Druck seiner Finger auf ihren Oberarmen trotzdem bereits spürte. Sie fuhr in die Höhe und erschrak. Sein Gesicht war kalkweiß, die Sehnen seines Halses zum Reißen gespannt.
„ Hast du nun endlich genug gehört? Ich weiß nicht, wer ich bin!“ Er schrie ihr die Worte mitten ins Gesicht, Worte voll Bitterkeit, Zorn und Schmerz. „Ist es auf diese Weise einfacher für dich zu begreifen?“
Er hatte mit einem entsetzten Aufschrei gerechnet, mit einem nicht enden wollenden Schwall an Worten des Bedauerns , sogar damit, dass sie sich angewidert von ihm abwendete. Was wollte sie schon mit einem Mann ohne Vergangenheit? Wie sollte sich so einer in der Gegenwart zurechtfinden, ganz zu schweigen davon, dass er etwas aus seiner Zukunft machen könnte?
Als er in ihre unschuldigen Augen starrte, war von all dem nichts zu erkennen. Dabei hasste er ihren unerschütterlichen Glauben an ihn. Ungeachtet seines Geständnisses wollte das Vertrauen einfach nicht aus ihrem Blick weichen. Selbst ihre gelassene Miene brachte ihn zur Weißglut. Sie wollte ihm freiwillig etwas geben, das zu wünschen er sich nie gestattet hatte, weil es,
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