Frau an Bord (Das Kleeblatt)
Backskiste und streifte es sich fröstelnd über den nackten Oberkörper. Er öffnete den schmalen Kleiderschrank, in dem er die Ursache für den Lärm vermutete.
Mit einem entsetzten „Oh, Scheiße!“ sprang er in der gleichen Sekunde zur Seite, um von den umgestürzten und in wildem Durcheinander hin- und herrollenden Flaschen, Gläsern und Dosen, Büchern und Toilettenartikeln nicht erschlagen zu werden. Er wetterte gotteslästerlich, als er zur gegenüberliegenden Wand stolperte und dabei mit der Schulter erneut an das Bettgestell flog. Schließlich schaltete er die schwache Deckenbeleuchtung an.
Erst jetzt , bei Licht, und mit einem Schlag hellwach bemerkte er die starke Krängung nach Steuerbord. Für einen Moment hielt er entgeistert inne. Was hatte das zu bedeuten? Was war mit diesem Schiff in der Zwischenzeit passiert? Mit zusammengekniffenen Augen horchte er auf jedes Geräusch, achtete auf jede noch so kleine Bewegung.
Auf das Zurückrollen des Schiffes nach Backbord wartete er vergeblich.
Die „Fritz Stoltz“ krängte nicht mehr, sondern hatte …
Schlagseite!
Schlagseite? Er hielt die Luft an. Sein Puls hämmerte schmerzhaft in den Schläfen und im Takt dazu „Schlag-sei-te“, immer wieder, immer lauter, immer schneller. Er befahl sich, die Gedanken an mögliche Folgen einer Schlagseite zu verdrängen. Das war nicht sein Job. Er war lediglich als Koch an Bord. Die Jungs auf der Brücke kümmerten sich um das Schiff.
U nter der Koje fand er endlich seine Schuhe, in die er mit bloßen Füßen schlüpfte, um sich nicht an den Scherben zu verletzen. Da an Schlafen nicht mehr zu denken war, würde er sich eine vernünftige Beschäftigung suchen und sich als Erstes an die Beseitigung des Chaos’ in seiner Kammer machen.
Ein ums andere Mal unterbrach er seine Arbeit, blieb reglos stehen und hoffte auf das vertraute, gleichmäßige Schaukeln des Schiffes. Ihm war nicht wohl bei der Feststellung, die „Fritz Stoltz“ könnte tatsächlich Schlagseite haben, und schluckte den würgenden Kloß in seinem Hals hinab. Ahnungsvoll zerrte er einen warmen Rollkragenpullover aus der Backskiste und zog ihn über das Shirt.
Die „Fritz Stoltz“ hatte Schlagseite!
Aus den Kammern nebenan war kein Laut zu hören. Obwohl er davon ausging, dass die beiden Frauen arglos schliefen, überzeugte er sich mit einem kurzen Blick in ihre Kojen davon.
Unschlüssig stand er auf dem menschenleeren Assi-Gang und schaute sich um. Aus einer der hinteren Kammern drang gedämpftes Murmeln und leise Musik. Nein, ihm war nicht nach Unterhaltung zumute. Er hielt es für das Beste, ebenfalls in der Kombüse nach dem Rechten zu sehen, wollte er morgen zum Dienstbeginn nicht heillosem Durcheinander gegenüberstehen.
Donnerstag war Seemannssonntag und die Mitarbeiter des Wirtschaftsbereiches hatten an diesem Tag stets alle Hände voll zu tun , wurden doch nicht nur die obligatorischen drei warmen Mahlzeiten erwartet, sondern auch frisch gebackene Brötchen und Brote zum Frühstück und Kuchen zum Kaffee. Wie er die Stewardess inzwischen kannte, würde sie ihm dieses Mal keine große Hilfe sein. Solange sich das Meer ein klein wenig kräuselte, würde sich seine hin und wieder übertrieben wehleidige Sissi mit Hingabe ihrer Seekrankheit widmen.
Was ihn dann kurz darauf in der Kombüse erwartete, übertraf sogar seine kühnsten Vorstellungen. Sein ganzer Stolz, sein zweites Zuhause, in dem er auf peinliche Sauberkeit und Ordnung achtete und selbst mit geschlossenen Augen ein perfektes Menü hätte zaubern können, glich einem Schlachtfeld und bot ein Bild des Grauens. Geschockt schlug er die Tür derart hastig, wie er sie geöffnet hatte, wieder zu.
Wie als Antwort drang a us der Bordküche ein hässliches Krachen, dem ein ohrenbetäubender Knall folgte. Das könnte der Kühlschrank gewesen sein, der den Fünfzig-Liter-Topf mit Gulaschsuppe für das Frühstück ausgespuckt hat, mutmaßte er und atmete tief durch, während er sich mit dem Rücken an die Wand gegenüber lehnte. Langsam rutschte er an der Wand hinab und hockte sich auf die Füße, ließ seinen Kopf in die Hände sinken und horchte auf das hektische Klopfen seines Herzens. Das hatte er geträumt, was sonst? Die Tür zur Pantry schlug krachend auf und wieder zu und lieferte die musikalische Untermalung zu dieser gespenstischen Szenerie. Das Klappern dutzender Flaschen im abgeschlossenen Barschrank des Clubraumes übertönte das Knirschen und Knarren der Wände auf
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