Frau des Windes - Roman
Problem, Sie sind doch jung und schön.‹ Und so habe ich jeden Abend Kaviar und Foie gras gegessen und Campari getrunken.«
Kati hat die Gabe, das Leben von seiner schönen Seite zu betrachten.
»In New York wurde uns mitgeteilt, dass es auf dem Schiff nach Mexiko nur noch zwei Plätze erster Klasse gäbe. Daraufhin haben die Juden, die mit uns auf der Flucht waren, zusammengelegt und unsere Passagen bezahlt. Jetzt wohnen José und ich in einem wunderschönen Haus in der Calle Tabasco, nur ein paar Häuserblocks von hier entfernt. Ich lade dich mal zum Tee ein. Dass ich nur zwei Tassen und zwei Löffel habe, stört dich doch nicht, oder?«
Kati redet wie die Kaffeemühle von Marcel Duchamp. Fast jeden Tag bricht sie frühmorgens auf, die Kamera um die Schulter, die Schuhe staubbedeckt. Remedios findet, sie sieht immer todmüde aus. Mit der Straßenbahn durchquert sie die Stadt von einem Ende zum anderen, um Fotos für Zeitschriften zu machen, die sich schlecht verkaufen und noch schlechter zahlen. Wegen ihrer gutmütigen Art und ihrer Großherzigkeit wird sie häufig von anderen ausgenutzt.
»Wahrscheinlich kann ich bald Fotokurse geben.«
»Klasse! Aber wenn der Kurs eine Stunde dauert, dann bleib nicht noch fünf Stunden länger, sonst wirst du wieder von allen ausgebeutet«, mahnt Remedios.
Leonora bietet ihr an, sie zurück zur Calle Tabasco zu begleiten, und als sie vor ihrer Haustür angekommen sind, hakt Kati sich bei ihr unter und geht mit ihr weiter bis zu Leonoras Haus, weil sie noch nicht fertig ist mit ihrer Geschichte.
»Begleitest du mich zurück, Leonora?«
»Bitte, Kati, jetzt nicht mehr.«
Von diesem Tag an fühlt Leonora sich nicht mehr allein, die Freundschaft mit Kati und Remedios verändert ihr Leben von Grund auf. Kati weiß nicht, was sie ihr außer ihrer Zeit noch schenken kann. »Frierst du?«, sagt sie. »Hier, nimm meinen Pullover.« Klein, intelligent, dynamisch, bringt die Ungarin, die eine gute Beobachterin ist, stets Neuigkeiten von draußen mit. Allein schon ihren Schottenrock zu sehen macht Leonora glücklich. Kati ist kein bisschen kokett, die schlanke Remedios indessen betont ihre schmale Taille noch mit einem breiten Gürtel, kleidet sich in Schwarz und besitzt zwei Paar hochhackige Schuhe. Neun Jahre älter als Leonora, ist sie die Lehrerin und Unterhalterin, der Schwarm der Männer, Benjamins Beschützerin und leistet sich dazu noch den Luxus, streunende Katzen aufzugabeln und zu Glücksbringern zu machen wie die Steine, Muscheln und Kristalle, die in ihrem Bücherregal liegen.
Für alle drei ist das Zusammensein eine Zuflucht, sie nehmen sich bei der Hand und beschützen einander.
»Wir leben im Untergrund«, sagt Remedios, »und haben uns schon daran gewöhnt.«
»Im Untergrund und in der Genügsamkeit«, fügt der arbeitslose Benjamin grinsend hinzu.
»Dafür haben wir Freunde«, entgegnet Remedios. »Du weißt doch, wie sehr Paalen dich mag!«
Aus San Ángel treffen Wolfgang, Alice und Eva ein. Paalen ist sehr blass, die Unmöglichkeit einer Rückkehr nach Österreich macht ihm deutlich zu schaffen. Genau wie Max Ernst haben die Nazis ihn vor einigen Jahren auf die Liste der entarteten Künstler gesetzt. Alice ist Dichterin, Paalen aber führt sie in die Malerei ein, und Eva Sulzer animiert er zu fotografieren.
»Es gibt keine Kunst, nur Künstler«, lautet seine Devise. »Hätte es nie einen Homer, Rembrandt oder Shakespeare gegeben, wäre der Beruf des Künstlers mit jedem anderen Beruf vergleichbar.«
»Künstler sind Egoisten ersten Ranges«, unterbricht ihn Eva.
»Und leicht zu zerstören«, behauptet Remedios.
»Ich glaube, Kunst ist handwerkliches Geschick«, schaltet sich José Horna ein.
»Mag sein, aber ich male mit meinen Gefühlen, meinen Wünschen, meinen Phantasien, meinen Ängsten. Ich krieche unter mich selbst, unter mein Noir animal , das Unterbewusstsein öffnet mir die Tür, und so gelange ich zur Angst«, sagt Alice Rahon.
»Du bist eine Masochistin«, lacht Paalen.
Für Leonora ist die Freundschaft mit Remedios ein offener Patio, der grüne Park von Hazelwood, die Gewissheit, dass ihre Einsamkeit ein Ende hat. Remedios und sie ergänzen einander, Remedios spricht die Sätze zu Ende, die Leonora beginnt. Ihr Lächeln schützt sie. Für niemanden interessiert sie sich so sehr wie für Remedios, ihr möchte sie ihre Bilder zeigen und die Geschichten, die sie schreibt, ihr will sie aus ihrem Leben erzählen. ›Sie soll mich mögen.
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