Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
Vom Netzwerk:
mich?«
    »Eva.«
    Eva Sulzer kauft ihnen auch ihre Bilder ab.
    In Tlatilco ist eine archäologische Fundstätte entdeckt worden, und der sonst eher schwermütige Péret ist Feuer und Flamme. Wie fein gearbeitet, wie geheimnisvoll diese Objekte sind! Besonders die Masken faszinieren ihn. Die zerbrochenen Figuren zu rekonstruieren ist keine sehr aufwendige Arbeit, und Remedios freut sich, wenn sie einem Tongesicht sein Lächeln zurückgeben kann.
    In Benjamin Pérets und Wolfgang Paalens Händen wird noch die kleinste Jadeperle zum Himmelsgeschenk.
    »Die Maya waren schon lange vor der christlichen Ära in der Lage, eine Sonnenfinsternis vorherzusagen«, erklärt Miguel Covarrubias, der sich bereit erklärt hat, bei Dyn mitzuarbeiten.
    Paalen leidet unter starken Gefühlsschwankungen. An manchen Tagen gelingt es seiner Frau Alice Rahon nicht einmal, ihn zum Essen aus dem Schlafzimmer zu locken, und wenn sie ihn fragt, was er die ganze Zeit bei geschlossener Tür und zugezogenen Vorhängen gemacht habe, antwortet er nur: »An die Decke geschaut.« Sie bittet Covarrubias, ihr zu helfen. Er lädt Paalen nach Tabasco ein, wo dieser angesichts der im La-Venta-Park entdeckten olmekischen Köpfe in Verzückung gerät.
    »Etwas so Bedeutendes, so Aussagekräftiges habe ich noch nie gesehen!«
    Aufgewühlt kehrt er nach Hause zurück und bringt in einem Zug einen Essay zu Papier, den er in den Cahiers d’Art veröffentlicht.
    Paalens und Pérets Lieferanten stehen mit festen Papptüten vor der Tür, angefüllt mit Fundstücken aus Iztapalapa, Tenayuca, Teotihuacán und sogar aus Xochicalco und Tula. Diego Rivera erweitert seine private Sammlung, und Jean Charlot zeichnet und katalogisiert jedes einzelne Figürchen. Am meisten von allen begeistert sich Miguel Covarrubias für die archäologischen Funde, und er ist auch der Großzügigste. Péret seinerseits hätte nie vermutet, dass die Nachfrage nach präkolumbischer Kunst so groß ist. Er schreibt nach New York und Paris, bietet die Objekte an, und mit der nächsten Post trudeln die Bestellungen ein.
    »Die Mexikaner wissen gar nicht, was für einen Schatz sie besitzen. Dieses Land ist völlig verrückt«, sagt Péret jedes Mal lachend, wenn ein Bauer aus Cholula oder Cuicuilco ein antikes Stück von unschätzbarem Wert für etwas mehr als zwei Pesos verkauft.
    »Eines Tages werden sie es noch merken«, prophezeit Paalen, »aber dann sind wir schon tot.«
    In New York, Paris und Berlin konsolidiert sich der Markt für Götterfiguren. Remedios mit ihren Schneiderinnenhänden restauriert die Objekte und kann einfach nicht verstehen, dass Péret nie einen Cent hat.
    »Wir müssen Eva fragen.«
    »Wie gut, wenn man neben seinem Petit-suisse noch eine echte Schweizerin hat!«
    Unbehelligt spazieren die Sammler in die offen stehenden Kirchen und scheuen sich nicht, Kruzifixe und Heiligenbilder aus der Kolonialzeit an sich zu nehmen. Ganz zu schweigen von den an den Sakristeiwänden hängenden Votivbildern.
    Eva Sulzer ist fasziniert von Mexiko. Die Schweizer Millionärin zitiert Dürer, der einst über die in Brüssel ausgestellte Keramik und den Schmuck aus präkolumbischer Zeit geschrieben hat: ›Und ich habe aber all mein Lebtag nichts gesehen, das mein Herz also erfreuet hat als diese Ding.‹
    Leonora freut sich darauf, mit Gunther Gerszo die Pyramide von Cuicuilco im Süden der Stadt zu erklimmen, denn er weiß alles über die Anlage und erzählt ihr, im Zentrum von Cuicuilco habe einst ein runder, zwanzig Meter hoher Tempel gestanden, von dem aus man einen eindrucksvollen Blick auf die Vulkane gehabt habe.
    »Mehrere tausend Menschen lebten dort, bis der Xitle ausbrach und die Lava ihre Maisfelder überschwemmte.«
    In der Geschichte Mexikos kennt er sich gut aus und spottet über die drei großen Muralisten mit ihren ›Riesenaffen‹, wie ihre Wandfiguren landläufig bezeichnet werden.
    »Ich setz mir meinen Hut auf und komm mit, Gunther«, antwortet Leonora enthusiastisch.
    Gerszo hält den Blick aus der Höhe auf die Landschaft mit seinem Pinsel fest und zerstückelt sie: hier der gelbe Mais, dort die grüne Luzerne. Plötzlich zerschneidet er die Leinwand mit dem Messer; das sei Mexiko, erklärt er Leonora, eine unerwartete Rache.
    »Ein Verrat?«
    »Ja, auch die Mexikaner sind Verräter.«
    »Manchmal wird mir auf unseren Spaziergängen ganz schwindelig.«
    »Wir alle sind zerbrechlich.«
    »Die Landschaften, die du malst, aber nicht. Früher glichen deine Bilder

Weitere Kostenlose Bücher