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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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sitzen dicht an dicht die mit bunten Bändern versehenen Spieße, die sich im Fleisch verhakt haben und es aufreißen, Blut strömt über den Rücken des Tieres.
    »Er verliert viel Blut!«, ruft Leonora aufgeregt.
    Der verwirrte Tanguito lässt den Kopf hängen. Aus feuchten Augen schaut er Leonora an, und sie zerrt am Ärmel ihres Mannes.
    »Ich bin mir sicher, dass er mich angeschaut hat. Wir müssen etwas tun, Renato, unterbrich den Kampf, rette Tanguito! Er hat mich angefleht, man möge sein Leben verschonen, das hier ist ein Verbrechen!«
    Renato versucht, sie zu beruhigen.
    »Gleich ist es zu Ende«, sagt er, »jetzt kommt das Schönste, die Finten.«
    »Das ertrage ich nicht länger«, ruft Leonora.
    Plötzlich zückt der Torero ein achtzig Zentimeter langes Schwert, das er unter der Muleta verborgen hielt, zielt auf den Nacken des Stiers, zwischen die Hörner, und stößt zu. Das Schwert zerfetzt die Hauptschlagader – ein tödlicher Angriff auf Lunge, Leber, Herz. Der Stier geht zu Boden, einen gespenstischen Blick in den Augen, er fragt Leonora noch etwas, bevor er zusammensackt, er ist kein Stier mehr, nicht einmal mehr ein Tier, er ist nur noch ein schweres Gewicht im Sand, all seine Würde liegt zerschunden am Boden. Die Fiesta ist zu Ende, der Stier windet sich im Todeskampf, Blut sprudelt ihm aus Maul und Nüstern. Tanguito stirbt, erstickt am eigenen Blut. Und nun rammt ihm der Torero ein langes Schwert mit einer an der Spitze verbreiterten Klinge in den Leib.
    »Das nennt man Genickstoß«, erklärt Gaona.
    »Ich gehe!«, ruft Leonora.
    »Warte, gleich kommt der Gnadenstoß.«
    Leonora steht auf, Leduc und Gaona ziehen sie an den Armen auf ihren Sitz zurück.
    »Und ich habe nichts unternommen! Aber was hätte ich denn tun können!«, schluchzt Leonora. Dann faucht sie Renato an: »Du kannst unmöglich ein guter Mensch sein und Stierkampf mögen. Wie soll ich mit jemandem zusammenleben, der den Tod eines wehrlosen Tieres bejubelt!«
    »Wütend bist du noch schöner«, sagt Ganoa grinsend.
    Der Stier wird aus der Arena gezogen.
    »Wohin bringen sie ihn?«
    »Zum Fleischmarkt.«
    »Und wenn er noch bei Bewusstsein ist?«
    »Du bist verrückt«, sagt Renato, ohne zu merken, dass er ihr damit den gleichen Gnadenstoß versetzt wie dem Stier.
     
    Abend für Abend kommt Renato spät nach Hause. Mit ihm zu streiten ist zwecklos. Und selbst wenn er da ist, führt Leonora weiter ihre Selbstgespräche oder redet mit Pete. »Kommt, Dicky, Daisy, Kitty, wir drehen eine Runde.« Ihre Einsamkeit wächst, und Renato verliert sie inmitten seines bewegten Lebens aus den Augen. Abwesend starrt Leonora vor sich hin.
    »Ich weiß nicht, was ich noch bei dir soll, Renato«, sagt sie eines Morgens zu ihm. »Ich will jetzt keine scheußliche Szene machen, das haben wir beide, du und ich, nicht verdient, aber ich weiß wirklich nicht, was ich hier in diesem Haus soll. Ich fühle mich missachtet, nirgends gehöre ich dazu – es ist einfach furchtbar. Ich will mich riesig und mächtig fühlen, du ahnst nicht, wie ermüdend es ist, den ganzen Tag mit sich selbst allein zu sein.«
    »Jetzt redest du schon zum zweiten Mal von riesig und mächtig. Ich habe dir doch Leinwände und Farben besorgt. Aber im Grunde willst du dich gar nicht anpassen. Zeig mal her, was du heute gemalt hast. Das ist doch gut, dieses Ei ist richtig toll geworden. Los, nur Mut, mal noch ein zweites Ei, danach bring ich dir eine Legehenne, deinen stolzen Hahn hast du ja schon.«
    »Wir leben eben in verschiedenen Welten.«
    »Stundenlang ins Leere zu gucken, wie du es tust, ist bescheuert. Komm mit, lass uns was trinken gehen. Meine Kumpel finden dich alle toll.«
    »Ich verstehe dein Land nicht.«
    »Wenn du erst mal Spanisch sprichst, wirst du es verstehen.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Also, was soll dann helfen?«
    »Meine Träume in der Nacht.«
    Renato schaut sie lange an:
    »Ich muss arbeiten, und du musst in den sauren Apfel beißen und versuchen, glücklich zu sein. Ich will, dass du glücklich bist. Hier ist deine Staffelei, hier sind deine Farben, fang an zu malen. Aus lauter Dummheit machst du dich unglücklich, und Selbstmitleid ist wirklich das Allerdümmste.«
    »Nein, das ist nicht der Punkt, ich bin das Opfer meiner eigenen Unfähigkeit, dich zu hassen. Ich weiß nicht, wie ich mich an dir rächen soll.«
    »Niemand zwingt dich zu bleiben, Leonora!«
    »Ohnmächtiger Hass ist eine Folter. Ich sitze hier allein und habe Angst vor allem

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