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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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unterhalten‹, sagte er, ›einem Mann mit Brille und überaus scharfsinnigem Blick. Alle nennen ihn Chim. Ich glaube, sein richtiger Name ist David Szymin. Er hat mich zum Essen eingeladen, und ich habe ihn gefragt, ob du mitkommen könntest.‹
    Beide waren entsetzt, als ich mir statt eines ordentlichen Essens nur Pommes frites bestellte wie jeden Tag. Während sie lebhaft diskutierten, schob ich mir ein Stäbchen nach dem anderen in den Mund und fühlte mich immer mehr an den Rand gedrängt.«
    Leonora schmeichelt es, dass Chiki ihr so viel anvertraut. ›Wie ausdrucksvoll er ist‹, denkt sie.
    »Zu Bandi und Chim gesellte sich ein schlanker junger Mann mit breiter Stirn, Henri Cartier-Bresson, und das Trio traf sich nun regelmäßig im Café Le Dôme in Montparnasse. ›Kommst du mit?‹, fragte Bandi mich bisweilen. Ich lehnte ab, dabei hasse ich es, allein zu essen. ›Wo bleibt denn heute Ihr Freund, der, mit dem Sie immer zusammen sind?‹, erkundigte sich die Wirtin meines Stammcafés bei mir, eine sehr nette Frau, in die ich mich fast verliebt hätte.«
    Noch bevor Leonora fragen kann, ob er etwas mit der Wirtin hatte, erzählt Chiki weiter.
    »Richtig schlimm wurde es aber erst, als die Deutsche Gerta Pohorylle auftauchte. Bandi verbrachte nun jede Nacht bei ihr. Da fühlte ich mich noch einsamer. ›Csiki, such dir eine Frau‹, riet mir Esdras Biro, ›eine, die dir hilft, nicht unnötig viele Kalorien zu verbrauchen. Dein Kumpel und seine Freundin kommen immer nur zum Essen und Pinkeln aus dem Bett.‹ Eines Abends verkündete Bandi: ›Von jetzt an bin ich Robert Capa, und Gerta ist Gerda Taro. Zusammen sind wir ein amerikanischer Fotograf mit zwei Köpfen, einem männlichen und einem weiblichen, ein Fotograf, der es geschafft hat, ein Mann von Welt. Das wird uns viele Türen öffnen. Als Erstes verabschiede ich mich von dieser Lederjacke, danach gehe ich zum Friseur. Mach es doch genauso, Csiki, ändere deinen Namen, schüttel den alten Muff ab.‹«
    »Und? Hast du deinen Namen geändert?«, fragt Leonora.
    »Nein, ich habe ihn behalten. Noch heute klingen mir die Worte meiner Mutter ihm Ohr: ›Du bist Jude, vergiss das nie.‹ Für einen Juden bedeutet den Namen zu ändern, dass auch sein Wesen sich verändert, dass etwas von ihm stirbt. Aus Sarai wird Sarah und aus Saulus Paulus. Ich aber will bis ans Ende meiner Tage Imre Emerico Weisz bleiben. Die Ironie der Geschichte ist nur«, fügt er lächelnd hinzu, »dass ich meine ganze Kindheit lang eine Nummer war und hier in Mexiko Chiki genannt und durch diesen Spitznamen auch noch verkleinert werde.«
    Leonora spürt, wie stark es sie zu ihm hinzieht.
    »Beim Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges am 18. Juli 1936 flammte in uns allen die Hoffnung auf eine bessere Welt auf, darauf, dass der laizistische Staat siegen würde und bald jeder Arbeit hätte. Und dass die Waisenhäuser, in denen man Kinder zu Nummern macht, geschlossen würden. ›Wir gehen mit Chim nach Spanien‹, beschloss Capa. In Madrid, auf der Gran Vía, erlebte Robert dann etwas Unglaubliches: Er traf Kati wieder, seine langjährige Freundin, die er seit der Kindheit kannte. Er rannte auf sie zu, rief ›Kati, Katherine Deutsch!‹, umarmte sie, hob sie in die Luft und drückte sie so fest an sich, dass sie sich losstrampeln musste.
    ›Du glaubst wohl, weil du ein schöner Mann bist, kannst du dir alles erlauben!‹
    ›Was tust du hier?‹
    ›Ich arbeite für Umbral und für Tierra y Libertad . Erst war ich in Aragón an der Front, dann hat man mich hierher geschickt.‹
    ›Csiki, ich stelle dir Kati Deutsch vor, die ich seit meinem fünfzehnten Lebensjahr heiß begehre. Nach dem Reichstagsbrand ist sie geflohen, weil sie die Brandstifterin war. Man sieht es ihr zwar nicht an, aber sie ist eine echte Gefahr!‹
    Capa, Taro und Chim gingen an die Front, während Kati zurückblieb und die Bilder des Leidens einfing, die anderen Reportern entgingen. Während jene durch die Gegend hetzten, porträtierte Kati eine zwischen den Trümmern stehende Frau beim Stillen ihres Kindes oder machte Aufnahmen von einem auf einem Tisch liegenden Säugling. Nach drei Tagen stellte Capa fest, dass es keine Möglichkeit gab, die Fotos vor Ort zu entwickeln, und bat mich, nach Paris zurückzukehren. ›Hier sind wir schon viele, da aber wirst du dringend gebraucht‹, sagte er.«
    »Dann kennst du Spanien praktisch gar nicht«, stellt Leonora fest.
    »Nein. Ich bat Capa darum, mich noch von Kati

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