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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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verabschieden zu dürfen, und lobte sie für ihre hervorragenden Fotos. ›Pass gut auf dich auf, bestimmt sehen wir uns bald wieder‹, sagte ich zu ihr. ›Weißt du was, Kati? Durch deine Aufnahmen fühle ich mich den Anarchisten näher.‹ ›Und diese Gerda Taro?‹, fragte sie mich. ›Bandi ist ein Verführer, die Frauen liegen ihm zu Füßen. Seine Mutter hat mir mal erzählt, dass er schon als Baby die Mädchen angelächelt hat.‹
    Neben Capa, Taro und Chim schickte mir auch Maurice Oshron seine Filme aus Spanien nach Paris, und ich entwickelte sie alle in der Dunkelkammer und verwahrte die Negative. Die Fotos unterschieden sich kaum voneinander. Signiert waren sie mit Robert Capa, Ruhm und Ansehen waren damals nicht so wichtig. Jeder konnte ja schon beim nächsten Klick des Auslösers sterben.
    Zur Zeitschrift VU kamen noch zwei weitere hinzu, Regards und Voilà , es gab immer mehr Arbeit. Ich habe nie versucht, mich irgendwie hervorzutun, im Gegenteil, ich glaube, um zu überleben, muss man sich von Siegertypen fernhalten. Die 127 Negativrollen habe ich in kleinen Fächern aufbewahrt, insgesamt drei Kisten mit wabenartigen Fächern. Jede trug ein Etikett mit der Angabe von Ort, Datum und Situation. Insgesamt habe ich mehr als dreitausend Negative wie meinen Augapfel gehütet.«
    Leonora erscheint Chikis Altruismus grenzenlos.
    »Gerda Taro wurde in Brunete von einem republikanischen Panzer überrollt und starb mit ihrer Fotokamera vor der Brust als einziger Waffe. ›Mich hätte es treffen sollen‹, wiederholte Capa immer wieder und gab sich die Schuld. Unterdessen entwickelte ich weiter, archivierte und sammelte und dachte an die kleine Kati, die in Spanien so allein war, oder vielleicht doch nicht so allein, denn nach einer Zwanzigjährigen schauen sich die Männer gerne um, erst recht, wenn ihnen der Tod um die Nase weht. Eines Tages lag zwischen den Negativen eine Nachricht von Capa mit den Worten: ›Es läuft sehr schlecht.‹«
    »Unglaublich, dass du das alles überlebt hast!« Leonora ist tief berührt.
    »Alles andere kennst du ja. Die Republikaner verloren den Krieg, und eine riesige Fluchtwelle rollte an. Chim schiffte sich auf der Sinaia nach Mexiko ein, und Esdras Biro landete trotz seines Alters im Gefängnis. An dem Tag, als Capa nach New York aufbrach, bestieg ich mit einem Koffer voller Negative den Zug nach Marseille. Falls ich nicht überlebe, dachte ich, soll wenigstens etwas übrig bleiben, das Zeugnis von unserem Kampf ablegt. In Marseille übergab ich den Koffer dem mexikanischen Diplomaten Francisco Aguilar Gonzáles und sagte zu ihm: ›Ihr Land ist das einzige, das die Republikaner unterstützt.‹ Wenig später haben die Vichy-Franzosen mich in Marseille geschnappt und für kurze Zeit in einem Lager festgehalten.
    In Casablanca habe ich mich auf dem portugiesischen Dampfer Serpa Pinto , auf dem auch Remedios und Benjamin gereist sind, nach Mexiko eingeschifft. Ich besaß weder Pass noch Geld, und den Zug von Veracruz nach Mexiko-Stadt konnte ich nur deshalb nehmen, weil ein Spanier mir die Fahrkarte bezahlt hat.«
    Chiki schweigt.
    »So«, sagt er nach einer Weile, »ich glaube, das ist alles.«
    Leonora betrachtet ihn voller Bewunderung. Chiki ist ein stoischer Mensch, der ihr instinktiv Vertrauen einflößt. Wie anders ist es ihm ergangen als ihr, die an Renatos Arm aus Lissabon geflohen ist. Im Gegensatz zu ihm war sie in einer privilegierten Lage. Wie eine Sagengestalt blickt sie ihn an, voller Demut angesichts seiner Schlichtheit. Ein so integrer Mann wie Chiki, ein Mann, der die gleichen Wurzeln hat wie sie, das ist es, was ihr fehlt, ein Europäer, einer, der gelitten hat wie sie. Leonora verherrlicht ihn und erfindet sich ihren eigenen Chiki.
    Als Renato zum Aufbruch drängt, taucht Leonora aus einer anderen Welt auf, und Remedios bemerkt den Glanz in ihren Augen. Vielleicht auch Renato. Nach dieser Unterhaltung sieht sie Nacht für Nacht das Gesicht des Ungarn vor sich, und seine Stimme hallt in ihrem Innern nach.

Von Nadeln und Fäden
    Leonora fällt in Mexiko nicht weiter auf, neben Chiki erst recht nicht. Auch in den belebten Straßen von New York haben die Leute sich nicht nach ihr umgedreht; hier schauen sie sogar zu Boden, wenn sie ihr entgegenkommen. Und weichen ihr ängstlich aus.
    Ihr Geliebter holt sie in der Calle Artes ab, und da beide kein Geld haben, gehen sie mit den Hunden spazieren, etwas, was Renato nie mit Leonora macht. Chiki ist groß und

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