Frau des Windes - Roman
Danann ab.
Am 4. August 1963 erreicht die Freundesgruppe die erschütternde Nachricht vom Tod José Hornas. Der Spanier, der nie ins heimatliche Andalusien zurückgekehrt ist, hat im Freundeskreis stets für Heiterkeit gesorgt. Im Alter von neunundvierzig Jahren ist er im Sanatorio Español einem Herzinfarkt erlegen. Während im Krankenhaus die Totenwache gehalten wird, häufen sich draußen im Park die Trauerkränze, und einige grasende Lämmer kommen herbei, um an den Blumen zu knabbern.
»Das hätte José gefallen«, sagt Kati traurig.
Leonora bleibt die ganze Nacht bei Kati und Nora, die beide untröstlich sind. José hatte sie stets mit seiner Lebensfreude angesteckt.
»Wir werden ein glückliches altes Ehepaar sein, hat José mal zu mir gesagt, und jetzt lässt er mich im Stich.«
Kati altert über Nacht um zehn Jahre. Nora, skeptisch, wird größer.
Na Bolom
Ein noch immer vergrabenes Mexiko zu entdecken, gemeinsam mit Ignacio Bernal, dem Direktor des Nationalmuseums für Anthropologie, ist für Leonora ein ergreifendes Erlebnis. Bernal erklärt ihr, das Wichtigste bei der Rekonstruktion einer versunkenen Kultur seien die alltäglichen Gebrauchsgegenstände. Behutsam trägt er sie zusammen.
»Niemand macht sich klar, wie viel diese Dinge wert sind. Sie können uns alles darüber sagen, wer wir gewesen sind.«
Mit einem hauchdünnen Pinsel befreit er einige Töpfe vom Staub, um das in ihnen schlummernde Wissen nicht zu gefährden. Als einer seiner Helfer einen Meißel in den Boden rammt, um ihn bei der Ausgrabung eines archäologischen Stückes als Hebel einzusetzen, weist Bernal ihn ärgerlich zurecht:
»Unter unseren Füßen liegt womöglich ein Gegenstand, der durch Druck kaputt gehen könnte. Benutz die Bürste oder den Pinsel.«
Er reicht Leonora ein Gefäß.
»Nimm es lieber in beide Hände. Es ist ein einzigartiges Stück.«
Überall, wo auf dem Rasen Flecken zu erkennen sind, bleibt der Archäologe stehen.
»Wartet mal, vielleicht stehen wir auf einem Grab.«
»Ja«, sagt Leonora beipflichtend, »ich habe das Gefühl, über eine Trommel zu laufen.«
»Warum schieben wir nicht einen Stab in die Erde, um zu sehen, worauf er trifft?«, schlägt der Helfer vor. »Klopf mal auf den Boden, wenn es hohl klingt, ist darunter Luft, und wir haben es möglicherweise mit einem Grab zu tun.«
Als Ignacio Bernal merkt, wie beeindruckt Leonora ist, bietet er ihr an, für das Anthropologie-Museum ein Bild über die Welt der Maya zu malen.
»Dein Wandbild läge dem von Tamayo genau gegenüber.«
Von den Maya weiß Leonora nur, dass sie Astronomen und von allen Mesoamerikanern die gebildetsten und ideenreichsten waren.
»Erst muss ich die Maya kennenlernen«, antwortet sie. »Im Übrigen habe ich noch nie ein Werk von der Größe eines Wandbildes geschaffen.«
»Gertrude Duby hat in San Cristóbal ein Haus, das sie Na Bolom nennt. Dort könntest du wohnen.«
Eine anstrengende Reise über kurvenreiche Straßen führt Leonora nach Chiapas. Der Asphalt brennt unter der Sonne, der Wagen auch, doch die großartige Landschaft entschädigt sie für die Strapazen. Überall ringsum quillt Wasser aus der Erde. Plötzlich taucht im dichten Grün des Waldes ein flackernder Punkt am Fuß der Bäume auf: Eine Frau im rotlodernden Poncho entzündet den Urwald. Eine Erscheinung vielleicht? Das Rot bewegt sich, tanzt unter den Bäumen. Das Holz singt. Die Frau trägt ein Reisigbündel auf dem Rücken, und ihr kurzer handgewebter Poncho lässt den grünen Horizont aufleuchten. Ein merkwürdiger Baum streckt seine Äste aus wie Flügel.
»Was ist das für ein Baum?«
»Ein Kapokbaum«, antwortet der Fahrer.
Leonora holt tief Luft, in ihrer Kehle flattern zwei Tauben. Als sie nach oben schaut, sieht sie Tiger am Himmel, und kaum hat sie den Blick wieder gesenkt, springen ihr die erstaunlichsten Farben entgegen.
»Wenn ich hier nicht mit Rauchen aufhöre, werde ich es mein Lebtag nicht tun«, gesteht sie Trudi, ihrer Gastgeberin aus der Schweiz und Ehefrau von Frans Blom.
Auch sie ist auf der Flucht vor dem Krieg nach Mexiko gekommen. Von den Lacandonen wird sie Trudi genannt.
»Vor meiner Reise hierher wusste ich nichts über Mexiko, außer dass die Mexikaner Menschen das Herz aus der Brust schneiden. Aber dann habe ich festgestellt, dass es hier mehr Schießereien gibt als Menschenopfer.«
Sie laufen durch gehweglose Straßen, bis sie die rote Erde von Cuxtitali erreichen. Die Einwohner von Chamula weichen
Weitere Kostenlose Bücher