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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Frauen. Hast du Angst, sie könnten herunterfallen?«, fragt María Félix mit ihrer Feldwebelstimme.
    Auch sie hat ein Faible für Esoterik und setzt sich in ihrer Chanel-Hose in den Lotussitz. Leonora spricht von Zarathustra und liest ihr vor, was in ihrem Horoskop steht. Leonoras Haus ist das Haus der Wahrsagungen. María will wissen, wie ihre Zukunft aussieht, und streckt Leonora die Hand entgegen. Sie soll ihr verraten, ob ihre Lebenslinien Gutes verheißen: Saturn, Apollo und Merkur. »Kennst du das keltische Tarot? Das schönste der großen Arkana ist ›der Liebende‹. Diese beiden Frauen hier, die blonde und die mit dem blauen Haar, das sind wir beide, du und ich. Der Mann in der Mitte ist Cupido.« María Félix zieht die Sonnenkarte und klatscht in die Hände, Leonora aber erklärt ihr, die Sonne könne auch Einsamkeit, Mangel an Freunden, Scheidung oder verlorene Liebe bedeuten.
    Als Marías Chauffeur sie abholen will, bittet Leonora sie, noch zu bleiben.
    »Je näher ich dich kennenlerne, umso besser kann ich dich malen.«
    Die Schauspielerin setzt sich wieder auf den Boden.
    Beide Frauen sind Widder, ihre Elemente Feuer und Holz.
    »Wann bist du geboren, María?«
    »Das sage ich niemandem!«
    »Ich bin am 6. April 1917 geboren. Ich bin Schlange, du wahrscheinlich Tiger.«
    »Ich liebe Schlangen. Falls du irgendjemandem mein Geburtsdatum verrätst, kannst du was erleben. Es war der 8. April vor sechsundvierzig Jahren.«
    »Unser Planet ist Mars, unsere Farbe Rot, wir sind beide leidenschaftlich, intelligent und rastlos.«
    »Mein Mann hat mir einen Tiger aus 277-karätigen Diamanten geschenkt, den er extra bei Hermès hat anfertigen lassen.«
    »Treu sind wir beide nicht«, sagt Leonora schmunzelnd.
    Andauernd klingelt das Telefon. »Ma’, ich bin dann mal weg«, »Bis heute Abend, Ma’«, »Ich weiß noch nicht, wann ich zurückkomme«, »Ich kann dich nicht begleiten, Ma’, ich habe etwas anderes vor«. Sie befreien sich, sie sind beliebt, werden von Mädchen umschwärmt, die ständig nach ihnen fragen.
    »Ist es dir nicht recht, dass meine Mitschülerinnen auf mich stehen, Ma’?«, fragt Pablo.
    »Ihr seid doch noch Kinder!«, antwortet Leonora verwundert.
    »Von wegen Kinder, wir sind Männer.«
    »Ich würde gern die Zeit zurückdrehen, Chiki, damit diese Kinder wieder zu Raupen werden.«
    »Das ist wohl das Einzige, was nicht passieren wird. Sie werden immer weiter wegfliegen.«
    »Wie schrecklich!«
    »Schrecklich finde ich das nicht, sondern normal. Sie müssen ihr Leben leben, du hast deins schon gelebt.«
    »Täusch dich nicht, ich habe noch viel vor, Chiki.«
    Leonora bedrückt das unbestimmte Gefühl, womöglich ein falsches Leben zu führen. Vielleicht hat sie ihr richtiges Leben in England zurückgelassen, all ihre Bilder sagen es ihr, doch ihre Söhne sind in Mexiko geboren und aufgewachsen. Wie kann sie jetzt noch den Kontinent wechseln? Wahrscheinlich wird sich drüben, im großen Britischen Empire, niemand mehr an sie erinnern, nicht einmal ihre Verwandtschaft, und für die Moorheads ist sie vermutlich nur die verrückt gewordene Cousine Carrington.
    Hier in Mexiko leben Remedios und andere Menschen, die sie liebt. Vielleicht ist Hazelwood heute nur noch eine Phantasiewelt, ein schon vor Jahren zerfallener Traum.
    »Würdet ihr gern in Europa leben?«
    »Ma’, in England zu leben wird nichts an deinen Depressionen ändern. Ich glaube außerdem, diese Ängste und Beklemmungen sind deine Verbündeten, sie sind der Grund, warum du malst«, sagt Pablo, der Arzt werden will.
    »Da haben wir’s«, lacht seine Mutter. »Aus meinen einstigen Schülern sind meine Lehrer geworden.«
    Leonora entwirft einen Wandteppich, den ein Kunsthandwerker aus Chiconcuac für sie webt.
    »Wie schön, Sie bei uns zu haben, Fräulein«, ruft der Teppichweber. »Jeder Ihrer Pinselstriche ist eine Herzader.«
    »Was bedeutet eigentlich Chiconcuac?«, fragt Leonora.
    »Auf der siebenköpfigen Schlange, Fräulein.«
    Leonora bedankt sich mit einem Lächeln.
    Auf der dreiteiligen Tapisserie The Snakes winden sich Schlangen um eine zarte, goldene, an Marihuana erinnernde Pflanze. Getreu Leonoras keltischer Vergangenheit, klingen in dem Werk Frazers Der goldene Zweig und Graves’ Die weiße Göttin an. Die Lektüre dieser Bücher hat Leonora wieder an die Erzählungen ihrer Großmutter Moorhead erinnert, die früher gern beteuerte, die Familie stamme von den unter grünen Hügeln lebenden Feen Tuatha Dé

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