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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Fragmente zusammen und erinnerte sich dabei an Mallarmés Satz: ›Ein Würfelwurf hebt den Zufall nicht auf.‹
    »Aus einem Tintenfleck habe ich einen Frauenhintern gemacht«, hat er zu Max gesagt.
    Ernst verachtet die Beichtstuhlmoral, ist der Meinung, die Kirche habe mittels der Beichte die Sexualität geschwächt und die Lust unterdrückt. Sein geistiges Vorbild ist Lautréamont. Er will wie er gegen den Schöpfer wettern, der ein Ungeziefer wie den Menschen nie hätte erzeugen sollen.
    Max schwingt die Messer seines Lächelns.
    Die Aufsässigkeit der Surrealisten stimuliert Leonora; auch sie trägt sie in sich, sie strotzt vor Energie, und ihre Ideen schwimmen wie Lachse gegen den Strom. Je exzentrischer die Projekte, umso verlockender findet sie sie.
    »Weißt du, dass ich früher mal Arzt werden wollte?«, erzählt ihr Max. »Ich wollte den Geist heilen. Ich spürte in mir die Fähigkeit, die Menschen zu lehren, sich nicht nach jeder Vogelscheuche im Priestergewand zu richten, die behauptet, Gottes Willen zu vertreten. Als junger Mensch bist du eine Billardkugel, der man den letzten Stoß versetzt. Ich hatte mystische Krisen, habe Euphorie und Depressionen durchlebt und sogar hysterische Anfälle. Mein Problem war vor allem, dass ich Vögel und Menschen verwechselt habe, weil mein rosa Kakadu genau an dem Tag starb, an dem meine Schwester geboren wurde. Nachdem ich ihn im Garten begraben hatte, bin ich nervlich völlig zusammengebrochen. Das Gleiche ist mir passiert, als mich einmal in Brühl fast ein Auto überfahren hätte. Ich bekam einen irren Lachanfall, worauf der Fahrer mich beschimpft hat. Meine Familie hatte es nicht leicht mit mir, ich glaube, mit meinem Weggang aus Deutschland habe ich ihr sogar einen Gefallen getan.«
    Dass er in Brühl auch seine erste Frau, die Kunstkritikerin Luise Straus, und seinen zweijährigen Sohn Hans Ulrich Ernst zurückgelassen hat, verschweigt Max. Der Junge, den alle nur Jimmy nennen, hat ihn später einmal in Paris besucht, aber Max wusste nichts mit ihm anzufangen. Er nahm ihn mit zu Dalí, zu Masson, zu Tanguy und war erleichtert, als er ihn schließlich wieder zur Gare Saint-Lazare bringen und in den nächsten Zug nach Deutschland setzen konnte.
    Jetzt lebt Jimmy in Paris, bei seiner Mutter, die mit Hilfe der ungeliebten Marie Berthe Aurenche Arbeit sucht. Seitdem der Maler seine zweite Frau verlassen hat, sind die beiden Leidensgenossinnen.
    »Leonora, male, was du als Kind gedacht hast, male deine kindlichen Hemmungen und Ängste.«
    »Dann male ich wie ein Kind.«
    »Aber das ist der erste Schritt zur eigenen Befreiung. Was du zeichnest, was du formst, mag inhaltlich kindlich sein, aber es wird dir den Weg in die Freiheit ebnen.«
    Eines Morgens fährt Leonora aus der Haut.
    »Marie Berthe hat mir ins Gesicht geschrien, du hättest einen Sohn! Wenn dich kindliche Phantasie so sehr interessiert, dann stell mir Jimmy vor.«
    »Was willst du denn zu ihm sagen?«
    Der siebzehnjährige Jimmy ist kein Kind mehr, hat auch nichts mehr gemein mit der Collage Dadafax, minimus , die sein Vater ihm vor fünfzehn Jahren gewidmet hat. Heute ist er ein junger Mann, dem das glatte, blonde Haar in die Augen fällt, so dass er es ständig mit der Hand wegschieben muss. Leonora küsst ihn auf beide Wangen, und Jimmy lächelt.
    »Am besten auf der ganzen Welt schmeckt mir Schokoladenkuchen, ich habe gerade welchen gebacken. Willst du mal probieren, Jimmy?«
    Leonora singt, tanzt und bringt den Jungen zum Lachen. Mit ihr fühlt Jimmy sich unbefangener als mit seinem Vater.
    »Willst du ein Glas Bier?«
    »Lieber ein Glas Wein.«
    »So gefällst du mir«, lacht Leonora.
    »Dein Sohn ist offener als du«, sagt Leonora zu Max, als dieser zurückkommt.
    »Für mich ist er ein absolut Fremder.«

Der surrealistische Wirbelsturm
    Leonora überrascht ihren Geliebten mit ihren Kochkünsten, zaubert selbsterfundene Gerichte aus dem Ofen und bewegt sich in der Küche ohne jede Scheu. Geschmack finden die Gäste auch an ihren dunklen Augen, ihrem dichten schwarzen Haar, ihren weißen Armen, ihren schlanken Oberschenkeln. Wenn sie von ihren Plänen spricht, liegt darin eine Unschuld und Echtheit, die sie zu etwas Besonderem machen.
    »Ich kann nicht glauben, dass sie wirklich so naiv ist, vermutlich ist ihre Naivität eine Art von Perversion«, bemerkt der surrealistische Mediziner und Anthropologe Pierre Mabille.
    »Sie ist eine echte femme enfant «, stellt André Breton begeistert

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