Frau des Windes - Roman
fest.
Leonora spielt, erregt Verlangen, ohne darauf aus zu sein, und ist zu klug, um es nicht zu merken. Für die Surrealisten ist sie unabhängig und provokant, was ihr Rauswurf aus mehreren Schulen bezeugt. Sie liegen ihr zu Füßen. Breton, der Vater der Bewegung, findet sie umwerfend.
»Wir sind verzaubert von deiner Schönheit und deinem Talent. Du bist der Inbegriff der Kindfrau.«
»Ich bin keine Kindfrau«, entgegnet Leonora wütend. »Max hat mich in die Gruppe eingeführt, aber ich sehe mich selbst nicht als Surrealistin. Ich habe Visionen gehabt, und die male ich oder schreibe sie auf. Ich male und schreibe, was ich fühle, das ist alles.«
»Mag sein, aber für mich verkörperst du genau die Sorte Frau, die durch ihre Naivität in direkter Verbindung mit dem Unbewussten steht.«
»Diese ganze Vergötterung der Frau ist doch dummes Zeug! Ich sehe nur, dass die Surrealisten ihre Frauen benutzen wie x-beliebige Ehefrauen. Erst nennen sie sie ihre Muse, und am Ende ist es diese Muse, die das Klo putzt und die Betten macht.«
Ihr Selbstbewusstsein hat sie sich mit dem Ausbruch aus ihrer Gesellschaftsschicht verdient. Ihren Eltern, den Nonnen, dem englischen Hof hat Leonora die Stirn geboten und braucht sich keineswegs minderwertig zu fühlen. Ließe sie sich erniedrigen, würde man es auch ihrem Werk anmerken. Aber auch so erfahren die surrealistischen Malerinnen keinerlei Anerkennung. Was bei den Männern als Kreativität gepriesen wird, gilt bei ihnen als Verrücktheit.
Je mehr Leonora Breton widerspricht, umso anziehender findet er sie.
»Deine Engländerin ist herrlich«, sagt er zu Max. »Mitgebracht hast zwar du sie – aber sie selbst hat sich ihren Platz erkämpft.«
Leonora ist eine animalische Kraft in einer zarten Hülle. Als der mit Max befreundete Joan Miró sie einmal bittet, ihm Zigaretten zu besorgen, und ihr einen Geldschein hinhält, entgegnet sie ihm erbost: »Du bist ganz sicher in der Lage, deine Zigaretten selbst zu kaufen«, und lässt ihn mit ausgestreckter Hand stehen.
Sie lehnt es ab, für Man Ray zu posieren. Dessen Freundin Ady Fidelin gefällt ihr indessen, und Leonora fragt sich, was sie an dem nordamerikanischen Surrealisten findet. Picasso scheint zu glauben, alle Frauen seien unsterblich in ihn verliebt, Salvador Dalí, den Leonora bei Breton kennenlernt, nennt sie die »bedeutendste Künstlerin«, was sie mit Gelassenheit aufnimmt.
Die Surrealisten haben einen geheimen Zugang zur Freude. Ihre stärkste Waffe ist der Spott. Unbarmherzig und schonungslos kritisieren sie einander und jeder sich selbst.
Was Breton am meisten reizt, ist Rebellion. Stets hält er bei anderen nach der rot-schwarzen Anarchisten-Flagge Ausschau, und wenn sie hoch am Mast flattert, ist er begeistert. Auflehnung ist für ihn ein moralischer Wert. Leonora kennt trotz ihres jungen Alters keine Grenzen, hat ihre Wut nur noch nicht wie die Surrealisten öffentlich hinausgeschrien. Max Ernst hat ihr erzählt, im Grunde sei Breton ein einsamer Mann; eines Abends habe Éluard ihn gefragt: »Hast du Freunde?«, und er habe geantwortet: »Nein, mein lieber Freund.« Breton sucht echte Gesprächspartner, mit denen er streiten kann, und wo immer er auftaucht, fliegen früher oder später Verwünschungen und Geschosse aller Art, sogar Schuhe, durch den Raum. Jacques Vaché, der früh an einer Überdosis Opium starb, begleitet ihn in der Erinnerung und dient ihm als Schutzschild: »Er ist mein einziger großer Freund.« Vaché war der Enthusiasmus der anderen nicht nur zu laut, sondern regelrecht zuwider, und als Leonora zu Breton sagt, für sie sei Sentimentalität eine Art Ermüdung, rückt sie in seinen Augen in die Nähe des verlorenen Vaché und überzeugt ihn durch ihre Intelligenz.
Zweimal begegnet Leonora dem Illusionisten René Magritte, einem gut gekleideten, zurückhaltenden Mann. In der Gruppe wird gemunkelt, der Selbstmord seiner Mutter habe seine Persönlichkeit geprägt. Er war damals dreizehn und musste mit ansehen, wie man sie aus der Sambre fischte. »Besonders gut malt er nicht«, sagt Leonora, »aber er denkt gut. Einmal hat er mir gesagt, seine einzigen Feinde seien seine schlechten Bilder.« Die Gesichter der Liebenden soll er mit dem weißen Kleid seiner ertrunkenen Mutter verhüllt haben.
Breton und Péret sind unzertrennlich. Klein, glatzköpfig, taucht Benjamin stets in Andrés Kielwasser bei den Surrealistentreffen auf und merkt gar nicht, dass er der Mutigere von beiden ist.
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