Frau des Windes - Roman
Rosenstrauß. Nicht auf Erfolg kommt es im Leben an, sondern auf Verwandlung. Der Weg zur eigenen Erlösung führt ins Unbekannte.
»Wie schaffst du es, so zu malen?«, fragt Leonora Eileen.
»Zuerst muss man aufnahmebereit sein. Manchmal sitze ich eine Viertelstunde oder länger da und frage mich, was ich machen soll, und plötzlich kommt mir eine Idee. Ich fange an zu malen, gebe dem Unbewussten Form. Wenn ich ins Stocken gerate, halte ich ein kurzes Nickerchen, danach gehe ich zurück an die Staffelei, und die Ideen kommen wieder. Aber ich versuche immer, nicht allzu wach zu sein, bewusstes Denken hemmt.«
Nur eines trübt die leidenschaftliche Atmosphäre im Haus in Cornwall: der Spanische Bürgerkrieg, dem Picasso mit seinem in Paris ausgestellten Guernica eine Ohrfeige verpasst hat. Mehr noch als über den Krieg sprechen die Freunde über dieses Wandgemälde.
»Ich hasse Männer in militärischer Uniform«, sagt Eileen Agar.
»Ich kann nicht nach Paris zurückkehren, ohne dass du mir versprichst zu kommen, Leonora.«
»Wozu?«
»Um mit mir zu leben, mit mir zu malen, mit mir zu sterben«, sagt Max beim Abschied.
»Wie könnte ich dich jetzt, da ich dir begegnet bin, wieder verlassen?«
»Überleg es dir gut«, warnt Ursula Goldfinger. »Er ist mit einer Frau verheiratet, die in Paris eine Galerie betreibt. Sie ist sehr bekannt, die Maler schulden ihr viel, und sie beschützt sie, manche unterhält sie sogar.«
»Und wahrscheinlich versetzt sie ihm genau in diesem Augenblick einen Tritt in den Hintern.«
Leonora glaubt, eine Ehefrau zu verlassen sei so, als wähle man ein anderes Menü. Fisch oder Fleisch? Für sie ist es das Einfachste auf der Welt, alles zu verlassen, jetzt, da sie im Begriff ist, ihre Eltern, ihre Brüder, Nanny, ihren Foxterrier Boozy, England und Irland zum Teufel zu schicken.
»Du machst also einfach, was du willst«, sagt Nanny mit traurigen Augen.
»Natürlich«, erwidert Leonora herausfordernd. Sie ist fähig sich hinzugeben, ohne Fragen zu stellen oder an irgendwelche Folgen zu denken.
Leonoras Eltern sind schockiert. Nicht nur weil es keine Hochzeit nach ihren Wünschen geben wird, sondern weil ihre Tochter auch den Mann, den sie über alles liebt, nicht heiraten wird. Sechsundzwanzig Jahre älter ist er als sie, und sie will in Paris mit ihm zusammenleben.
»Hinter der Wirklichkeit verbergen sich andere Dinge, Papa, es ist wie bei der Malerei: Wenn man ein Bild abschleift oder -kratzt, kommt ein anderes zum Vorschein. Das nennt man Pentimenti.«
»Wovon redest du, Leonora?«
»Ich bin auf der Suche nach einer anderen Lebensform.«
»Deine Lebensform wurde dir durch deine Geburt, die Erziehung, die du erhalten hast, und dein Erbe vorgegeben. Wenn du dich von deinen Ursprüngen lossagst, wirst du das teuer bezahlen.«
»Nein, Papa. Es gibt auch noch andere Arten, auf dieser Erde zu existieren. Ich bin nicht deine Schöpfung. Ich will mich selbst erfinden. Ich verlasse euch.«
Draußen bellen die väterlichen Foxhounds, aber nicht so erregt wie die Meute in Leonoras Innerem.
Der Abschied ist eine Kriegserklärung. Wie kann eine Rotzgöre es wagen, ihn so herauszufordern, ihn, den Erschaffer eines Imperiums, das mehrere Millionen Pfund wert ist? Wie kann er hinnehmen, dass dieses undankbare Geschöpf mit ihm macht, was es will?
»Du bist nicht mehr meine Tochter!«, brüllt Carrington, rasend vor Wut. »Dein Schatten wird meine Tür nicht mehr verdunkeln!«
Von Maurie unterstützt, prophezeit er ihr:
»Du wirst mich niemals wiedersehen!«
Auf dem Weg zum Bahnhof, wo Leonora den Zug nach Dover nehmen wird, um von dort aus mit der Fähre nach Calais überzusetzen, holt ihre Mutter sie ein.
»Sag mir sofort Bescheid, wenn du in Paris angekommen bist«, bittet sie sie. »Ganz gleich, in was für einer Lage du dich befindest, ich helfe dir. Was du tust, ist verrückt, du hast keine Ahnung, was dich erwartet.«
Loplop
Im Jahr 1937, als Zwanzigjährige, verlässt Leonora ihr Elternhaus, um nie mehr zurückzukehren. »Ich bin nicht mit Max weggegangen«, wird sie später sagen. »Ich bin allein weggegangen, immer wenn ich gegangen bin, habe ich es allein getan.«
Kaum ist Leonora in Paris, steht Frau Ernst auf der Bildfläche, spitz und unausweichlich wie der Eiffelturm. Sie war auf der Londoner Ausstellung, Max hat sie indes kein einziges Mal erwähnt, obwohl sie schon seit zehn Jahren verheiratet sind.
›Macht nichts‹, redet die ungestüme Leonora sich ein,
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