Frau des Windes - Roman
beschuldigen, mit dem Faschismus zu kokettieren, den Katholizismus zu nachsichtig zu behandeln und dem Geld zu huldigen.
Antonin Artaud hat sich schon vor Jahren von den Surrealisten getrennt, bleibt aber Zielscheibe ihrer Beleidigungen. Èluard nennt ihn nur noch ein »opportunistisches Aas«.
Breton hatte Artaud das ›Bureau des Recherches Surréalistes‹ anvertraut und ihn in der Rue de Grenelle 15 einquartiert. »Artaud wird die Dokumente besser verwalten als jeder von uns, weil er ein Universalgenie ist, auch wenn er nie seine Laken wechselt«, meinte André. Alles lief gut, bis Artaud in der Zeitschrift La Révolution Surréaliste einen offenen Schmähbrief an Papst Pius XI . verfasste. Noch lobte Breton ihn. Auch den zweiten offenen Brief an den Dalai Lama hieß er gut. Nach dem dritten jedoch, in dem er die Direktoren sämtlicher europäischer Irrenanstalten aufforderte, ihre Insassen freizulassen, schloss Breton das Bureau.
Wie man es von so manchen ›Befreiern‹ kennt, schaffte sich auch der autoritäre, explosive Surrealistenführer letzten Endes die Störenfriede vom Hals.
Artaud reiste nach Mexiko, um dort nach einer in Europa untergegangenen Wahrheit zu suchen. Bei den Tarahumaras erforschte er die Wirkung des Peyote. Eines Tages dann lasen María Izquierdo und Lola Álvarez Bravo ihn halb verhungert und betrunken auf einem Bürgersteig der mexikanischen Hauptstadt auf und nahmen sich seiner an. Zurück in Paris, lebte er im Elend, von allen verstoßen. »Er hat keinen Biss mehr«, lautete Picassos Kommentar. Indessen machte sich niemand klar, dass Artaud mit seiner Entdeckung der Tarahumaras den Surrealismus um eine neue Dimension erweitert hatte.
Leonora und Max laden Picasso nach Hause ein und mit ihm Marcel Duchamp, der sich nur schwer von seinem Schachbrett lösen kann. Bisher hat stets Péret Breton begleitet, nun aber ist eine Rothaarige namens Remedios in seinem Leben aufgetaucht, und man sieht ihn nur noch selten. »Die Spanierin scheint sehr schüchtern zu sein«, heißt es.
In der Rue Fontaine betrügt und verletzt man einander und bildet Dreiecksbeziehungen wie schon vor Jahren Éluard, Gala und Max.
Der Rumäne Victor Brauner sucht Käufer für sein Selbstporträt, auf dem er sich als Einäugiger dargestellt hat, mit einer riesigen blutigen Träne, die ihm aus der rechten Augenhöhle fließt. Einige Monate später verliert Brauner tatsächlich ein Auge, als Esteban Francés während einer hitzigen Diskussion ein Glas nach Óscar Domínguez wirft.
»Wir können nicht fortwährend auf Hochtouren leben, wir gehen noch alle vor die Hunde« oder »Ich bin fix und fertig, mein Kopf fühlt sich an wie die Kaffeemühle von Duchamp«, lauten die Kommentare. Dora Maar, von Picasso erniedrigt, erntet mitleidige Blicke, wenn sie ein Restaurant betritt. »Seht nur, was Picasso aus ihr gemacht hat.« – »Einen Picasso«, sagt ein Kellner zum anderen.
Leonor Fini verabredet sich in einem Café in Montparnasse mit Renato Leduc, Berater des mexikanischen Konsuls in Paris, um ihm Picasso vorzustellen.
Ihnen schließt sich der soeben aus Teneriffa zurückgekehrte Óscar Domínguez an.
»Nehmt mich mit, verdammt!«, sagt er. »Ich muss nur schnell ein Paket aus meiner Wohnung holen.«
Kaum haben sie das Haus in der Rue Jacob betreten, stürzt Domínguez sich auf Picasso:
»Meister, ich bin ein spanischer Maler und nage am Hungertuch.«
»Dass du Spanier bist, sieht ein Blinder. Und am Hungertuch haben wir alle mal genagt.«
»Hören Sie, Meister, neulich war ich auf einem Fest bei einem Amerikaner, der 25000 Francs für ein paar Pinselstriche von Picasso hinblättern wollte. Da habe ich einfach behauptet, ich besäße ein Bild von Ihnen.«
Er öffnet das Paket, und zum Vorschein kommt eine Fälschung von Badende mit Ball . Statt sich zu ärgern, beglückwünscht ihn das Genie aus Malaga.
»Diese Amerikaner kaufen keine Bilder, sondern Signaturen. Leonor, könntest du mir mal eine Feder oder einen Stift leihen?«
Er signiert und reicht Óscar die Fälschung mit den Worten:
»Verkauf sie und verdien dir die 25000 Francs …«
Óscar und Pablo werden unzertrennlich. Manchmal gesellt sich Renato zu ihnen, dann reden alle drei über Stierkampf.
Nicht nur in der Rue Jacob, auch bei André Breton finden Begegnungen ausgewählter Gäste statt. Eines Abends bittet Breton um allgemeine Ruhe und verkündet: »Wir hören jetzt Leonora zu.« Leonora schweigt. Sie kann unmöglich auf Befehl
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