Frau des Windes - Roman
rebellisch sein. Ihre Rebellion ist heilig, sie holt sie nur hervor, wenn ihr danach ist, nicht wenn man es von ihr erwartet.
»Wir sind deine Herde schwarzer Schafe, wir folgen dir, wohin du willst.«
Leonora ist nicht nur ihr eigener Herr, sondern der all ihrer Bewunderer. Sie führt ein herrliches Leben! Nur Marie Berthe Aurenche strapaziert ihre Nerven.
»Warum gehst du nicht zurück nach England?«, faucht Marie Berthe sie bei ihren unangekündigten Besuchen an.
»Warum kommt sie einfach rein, ohne zu klingeln?«, fragt Leonora ihren Geliebten.
»Weil sie einen Schlüssel hat.«
»Wer hat ihn ihr gegeben?«
»Loplop.«
Marie Berthe folgt ihnen ins Café de Flore, zetert und wütet unter den besorgten Blicken Leonoras, zerschmeißt Gläser, Teller und Tassen. Gäste und Kellner verfolgen das Schauspiel unbeeindruckt. Die Britin in Leonora weiß, dass man heftige Gefühle nicht zeigt und sich mit Eifersucht nur lächerlich macht. ›Kinder sollte man sehen und nicht hören‹ , hat man ihr von klein auf beigebracht, aber offenbar will das Kind Marie Berthe zu einer öffentlichen Figur werden. Bei den überheblichen Surrealisten finden Frauen, mit denen es bergab geht, indes keine Beachtung. Leonora dagegen ist eine Entdeckung, das kostbarste Juwel in ihrer Krone. Die Aurenche vermasselt die Treffen. Mit jeder Szene sinkt sie tiefer in der allgemeinen Achtung. Schluchzend und jammernd kündigt sie an, sie werde wieder ins Kloster gehen, und Leonora findet, das sei genau das Richtige für sie, ein Leben unter verschleierten Frauen, die nicht den Mut haben, zu sich selbst zu stehen, und sich bei lebendigem Leibe begraben lassen. Mitleid scheint nicht die Stärke des Malers zu sein, er hat keine Geduld mehr mit seiner aus dem Gleichgewicht geratenen Ehefrau: »Soll sie doch in das Kloster zurückgehen, aus dem ich sie geholt habe.«
Leonora schreibt und malt und sorgt sich nicht darum, was aus ihr werden wird.
Vor Ernsts Ateliertür steht Peggy Guggenheim, Mäzenin und Förderin der Modernen Kunst, die Frau, die Picasso, Dalí, Duchamp ihre Werke abkauft. In Paris ist sie in aller Munde. Man erzählt sich, sie steige abwechselnd mit Beckett und Tanguy ins Bett, die Kunstwerke wähle sie gemäß der Leistung aus. Nachts ist sie nie allein. Die avantgardistische Amerikanerin richtet dem Auserwählten sein Atelier ein, verschleißt Beckett innerhalb einer Woche und treibt James Joyce’ Sohn Giorgio zur Verzweiflung. Dreist ist sie, hat eine gute Figur und eine Nase wie eine Rübe. Die Künstler halten sie für eine Dilettantin, aber ihre Dollars funkeln. Wegen ihr hat Tanguy seine Frau verlassen. Marcel Duchamp drängt sich vor, lässt Peggy nicht mehr los und rät ihr, was sie kaufen soll.
Peggy kommt ins Atelier gefegt und lässt vier Malteser von der Leine, die sich geradewegs auf die Gemälde stürzen. Die Mäzenin trägt eine exzentrische Sonnenbrille und ein Kostüm von Paul Poiret. Ihren Mantel wirft sie auf den erstbesten Stuhl.
»Ist das kalt! In Paris erfriert man.«
Max Ernsts ganze Sorge gilt der Rettung seiner Bilder vor den Hunden.
» My darlings «, ruft Peggy sie zurück, und sie umringen Leonora, die sie streichelt.
»Sind das alles deine?«, fragt sie Max.
»Dieses Gemälde ist von Carrington, meiner begabtesten Schülerin.«
Die Guggenheim mustert Leonora, die von ihren Maltesern umschwärmt wird.
»Das da will ich kaufen. Wunderbar, dieses Pferd, das wie ein Vogel im Baum sitzt!« Sie zeigt auf The Meal of Lord Candlestick .
»Es stellt die Familie der Künstlerin dar. Lord Candlestick ist der von seiner Tochter verspottete Harold Carrington. Diese Pferdeköpfe sind phallisch, die Teller Hostien. Aus dem Hintern des Wildschweins wachsen Zweige. Erinnert es nicht an Hieronymus Bosch?«
»Die junge Dame kommt also aus adeligem Hause.«
»Sie ist außerordentlich begabt, Breton und Marcel Duchamp haben sie eingeladen, mit zwei Werken an der internationalen Surrealismus-Ausstellung teilzunehmen.«
»Ja, da war ich schon, es sind nur wenige Frauen dabei: Eileen Agar, die Norwegerin Elsa Thorensen, die Spanierin Remedios Varo, die Deutsche Meret Oppenheim, die, wie ich hörte, Ihre Geliebte war, und die junge englische Aristokratin.«
»Breton ist begeistert von Leonora, er sieht sie als die große Frauenfigur des Surrealismus, ihre Extravaganz fasziniert ihn. In seinen Augen ist sie die einzige Frau, die zu einer Amour fou fähig ist«, fährt Max Ernst fort.
Die Hündchen legen
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