Frau des Windes - Roman
sich zu Leonoras Füßen, und Max lädt Peggy zum Abendessen ein. Um acht will er sie im Ritz abholen.
»Geh lieber allein hin«, sagt Leonora.
»Warum?«
»Weil ich die Hunde lieber mag, und die dürfen bestimmt nicht mit ins Restaurant.«
In La Tour d’Argent bemüht Max sich, die Amerikanerin zu beeindrucken, indem er sie unverwandt aus seinen wasserblauen Augen anschaut. Sie bestellt Profiteroles, er Arme Ritter, und während sie essen, hoffen sie, Das Mahl des Lord Candlestick möge das erste von vielen weiteren sein. Keiner von beiden ahnt, dass der Krieg ihr Leben auf den Kopf stellen wird.
Bei seiner Rückkehr sieht Max schöner aus denn je.
»Die Frau hat intelligente Augen«, sagt er zu Leonora.
Paris lehnt die Surrealisten ab, die Kritiker sind gnadenlos und zahlreich die Abtrünnigen. Da erscheint es Leonora wie eine Fügung des Himmels, dass ihr Geliebter eine Beschützerin gefunden hat.
Körper im Raum
Die Aurenche, von Mal zu Mal unkontrollierbarer, klingelt an der Tür, fordert ihre Rechte ein – »Ich bin deine Frau« –, weint, tritt um sich. Max schafft es, sie zum Gehen zu überreden, doch als er gerade mit Leonora das Atelier verlassen will, springt sie hinter der Tür vor und packt ihn am Arm. »Du hast gesagt, wir gehen in die Salle Pleyel.« Max weiß nicht, wie er sie loswerden soll. Leonora beeindruckt diese hübsche Frau mit ihren in die Stirn fallenden Puppenlocken. Im Café de Flore kam sie ihr keineswegs zerbrechlich vor, jetzt aber strahlen ihre ganze Aufmachung, ihre Hände und ihre Frisur Zerbrechlichkeit aus.
Die drei hören sich das erste der sechs Brandenburgischen Konzerte an, und Max erklärt, Musikinstrumente seien Körper im Raum. »Wie Gott?«, fragt Marie Berthe, die alles dem göttlichen Urteil überlässt. Nein, schöner, antwortet Ernst, sie seien schon vor der Erfindung eines Gottes durch den Weltraum gekreist, als Noten, Kugeln, Kometen.
»Du lügst!«, protestiert sie. »Das habe ich nicht im Katechismus gelernt, ich schreie gleich.«
»Dann schrei doch«, erwidert Max.
Leonoras Herz verkrampft sich, nicht so sehr aus Angst vor einer Szene mitten im Konzert, sondern weil Marie Berthe alles mit Erpressung durchzusetzen versucht.
»Max, der Arzt hat gesagt, du darfst mir nichts abschlagen, weil ich krank bin. Außerdem habe ich niemanden, der sich um mich kümmert, ich bin ein Waisenkind. Glaubst du, meine Mutter ist im Himmel?«
»Nein.«
»In der Hölle?«
»Vielleicht ist deine Mutter eine im Weltraum kreisende Einmaleins-Tabelle oder eine noch unentdeckte Geige, die ihre Runden im Universum dreht.«
»O Max! Manchmal glaube ich, du bist der Teufel.«
»Wie gut, dass du mich nicht für einen Engel hältst!«
Leonora amüsiert sich über die Antworten ihres Geliebten.
Falls Max sie nicht zufriedenstelle, droht die Französin, werde sie dem Papst schreiben, und der Vatikan werde ihr recht geben. Einmal rennt sie um zwei Uhr morgens zur Kathedrale Notre Dame und legt sich vor die Stufen, bis ein Gendarme sie findet.
»Töten Sie mich, ich habe auf Sie gewartet, Sie sind der Todesengel«, ruft sie und wirft sich ihm in die Arme.
»Monsieur, ich bringe Ihnen Ihre Frau zurück«, sagt der Gendarme, der sie in der Rue des Plantes abliefert.
Max versucht, sie zu beruhigen, sperrt sie ein, und Marie Berthe zerreißt seine Leinwände, zerstört sein Werkzeug, demoliert die Fahrräder, schlitzt die Reifen auf, wickelt Fadenspulen ab, zerbricht Messbecher und bittet anschließend mit lautem Geschrei um Verzeihung. Kaum betritt sie den Beichtstuhl, erteilt ihr der Priester, der ihre ständigen Szenen leid ist, die Absolution. Wenn Max sie zurückweist, läuft sie jedes Mal in die Kirche und ruft: »Gott hat mich für das ganze Leben mit diesem Mann verbunden, bei ihm erschaudert jede Zelle meines Körpers. Jesus Christus, der Heilige Geist und die Jungfrau von Lourdes müssen ihn mir zurückgeben. Die Engländerin ist ein Eindringling, ein schamloses Weib, schmeißt sie in den Ärmelkanal!«
»Hab Geduld, Leonora, diese Frau ist infantil, es wird eine Weile dauern, bis ich sie los bin, du musst verstehen …«
Max wird hässlich, Unentschlossenheit macht hässlich. Was tun mit zwei Frauen? Wenn Marie Berthe in der Rue Jacob auftaucht, versteckt er sich, sie findet ihn trotzdem. »Jetzt komme ich schon zum vierten Mal«, sagt sie und küsst ihn. Leonora weiß nicht, woran sie ist. »Und wer ist das?« Sie tut, als würde sie Leonora nicht kennen.
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