Frau des Windes - Roman
und Herlaufen, ohne zu wissen, wozu und warum, und sich unterwegs verirren. Es bedeutet, mit der Verlassenheit und dem Mut der Ahnungslosigkeit durch das Unbekannte zu streifen.
»Leonora, du musst aus Frankreich fliehen, die Deutschen sind überall. Max kommt nicht zurück, wir wissen doch weder, wann der Krieg endet, noch, wann sie ihn freilassen. Komm mit uns!«
»Max wird nicht lange fortbleiben, er ist nach Pont-Saint-Esprit gefahren, aber da die Rhone über die Ufer getreten ist, dauert der Rückweg länger als üblich. Kommt, wir öffnen eine Flasche Rotwein. Ich habe viel Rotwein da, aber auch Weißwein, falls ihr lieber Weißwein trinkt.«
Sie lässt das Gesicht auf die Arme sinken.
»Max wird zurückkommen, ich warte auf ihn.«
»Du musst etwas Nahrhaftes zu dir nehmen, du bist ja nur noch Haut und Knochen.«
Catherine und Michel sorgen dafür, dass Leonora statt der ständigen Kartoffeln eine ordentliche Suppe isst und nicht mehr so viele Stunden draußen in der Sonne verbringt.
Catherine, die sich seit Jahren mit Psychoanalyse befasst, analysiert jeden, den sie vor sich hat. Einer ihrer Ratschläge prägt sich Leonora besonders ein: »Such dir einen neuen Geliebten.«
Wen, Pierre, den Winzer? Oder den alten, röchelnden Matthieu?
»Schlag dir den Maler aus dem Kopf. In ihm suchst du eine Vaterfigur und bestrafst dich damit nur selbst.«
»Es geht mir sehr gut, und ich liebe Max.«
»Nein, es geht dir nicht gut. Seitdem ich dich kenne, ist es dir noch nie so schlecht gegangen. Wissen deine Eltern, in was für einer Verfassung du bist?«
»Ich habe keine Eltern.«
»Natürlich hast du welche, und sie machen sich Sorgen um dich. Sie hassen Max, sie sind gegen das, was du tust, und trotzdem unterhalten sie dich. Deine Mutter hat dir sogar dieses Haus gekauft.«
Bei einem gemeinsamen Dorfbesuch setzt Leonora sich zu zwei schlanken Belgiern an den Tisch.
»Ich werde sie verführen«, hat sie Catherine angekündigt. »Dein ganzes Gerede hat mein sexuelles Verlangen neu entfacht. Seitdem sie Max abgeholt haben, hatte ich keinen Sex mehr.«
Die jungen Männer aber interessieren sich weniger für die Liebe als für den Krieg und das, was die Nazis ihrem Land angetan haben. Dieses heißblütige Mädchen mit dem zerzausten Haar hat nicht alle Tassen im Schrank. Sie stehen auf und lassen sie allein zurück.
»Ich werde jämmerlich keusch bleiben müssen«, sagt Leonora resigniert.
Sie trinkt zu viel Wein, weshalb Alphonsine notgedrungen beschließt:
»Du schläfst heute hier.«
Am nächsten Morgen erzählt Leonora Fonfon, als sei nichts gewesen:
»Ich habe von zwei Wölfen und einem Fuchs geträumt.«
»Sprich mit den Wölfen, dann werden sie zu Schafen.«
»Auch wenn es Deutsche sind?«
»Leonora, du wandelst am Rande des Abgrunds. Warum gehst du nicht zu Drusille de Guindre? Angeblich sieht man sie jetzt immer am Fenster stehen, weil ihr Vater sie nicht mehr aus dem Schloss lässt. Der Vicomte ist einflussreich, und Drusille fragt nach dir; sie helfen dir bestimmt.«
Leonora kehrt zurück zu ihren Weinbergen. Erneut schuftet sie in der Sonne, schweißgebadet, bis Catherine kommt, um sie ins Haus zu holen.
»Liebe ist eine vorübergehende Psychose«, erklärt sie ihr. »Außerdem ist Saint-Martin gefährlich, du kannst nicht allein hierbleiben, wir nehmen dich mit.«
»Ich warte auf Max, ohne ihn kann ich unmöglich hier weggehen, ich werde mich nicht von der Stelle rühren.«
»Wer weiß, wann sie ihn freilassen. Du musst mit uns kommen. Ich habe gehört, dass die Deutschen Frauen vergewaltigen.«
»Das macht mir keine Angst, Catherine – im Gegenteil, vielleicht genieße ich es sogar. Mir graut eher davor, dass sie Roboter sind, Wesen ohne Verstand. Die Deutschen haben kein Blut in den Adern, sondern Blei, das Blei ihrer Kugeln. Morgen gehe ich wieder ins Dorf, mal sehen, wen ich dort antreffe. Irgendjemand kümmert sich bestimmt um mein Problem.«
»Dir wird niemand Hilfe anbieten, sieh dich doch mal an, du machst den Leuten ja Angst, so ungewaschen und ungekämmt. Komm, ich helfe dir beim Kofferpacken.«
»Seitdem mein Liebster fort ist, weiß ich nicht mehr, welches Datum wir haben, noch, welcher Wochentag ist; ich weiß nur, dass ich auf ihn warten muss.«
»Du benutzt Max, um dich selbst zu bestrafen, als Ersatz für Harold Carrington. Außerdem säufst du wie ein Loch.«
»Baudelaire hat gesagt, man müsse sich ständig betrinken und im Rausch leben, ich folge nur seinem
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