Frau des Windes - Roman
selbst renoviert hat. Er ist bei der Landbevölkerung beliebt und bewirtschaftet seine Weinberge. Ich bitte Sie, ihn nach Saint-Martin d’Ardèche zurückkehren zu lassen. Ich lege meine Hand für ihn ins Feuer.‹
Marie Berthe Aurenche ihrerseits appelliert an Senator Albert Sarraut. Gleichwohl werden Max und Bellmer nach Les Milles in eine Ziegelbrennerei überstellt, wo der rötliche Staub bis hinein in das ohnehin magere Essen dringt. Die schmutzigen Latrinen verbreiten einen widerlichen Gestank, viele Gefangene erkranken an Ruhr. Mittags und abends stehen die Häftlinge Schlange, um sich von einem Soldaten ihren Blechnapf füllen zu lassen. Einige deutsche Studenten werden wie Kriminelle behandelt. Das Frankreich, das sie einst geschätzt hat, verfolgt sie nun.
»Ich kann beweisen, dass ich ein Nazigegner bin, deshalb lebe ich ja in Frankreich.«
Auch hier dürfen die beiden Künstler auf Bellmers Bitten im Hof malen. Bellmer fertigt ein Porträt von Ernst an, sein aus den Ziegelsteinen von Les Milles zusammengefügtes Profil vor schwarzem Hintergrund. Bellmer ist zuversichtlicher als Max und kämpft nicht gegen das Leiden an, das er auch nicht als unverdient betrachtet. Er ist anspruchsloser als Max, nimmt die Haftsituation gelassener hin und regt Max zum Malen an. Vielleicht haben die vielen geschundenen Puppen, die er angefertigt hat, ihn abgehärtet.
»Wenn eure Angehörigen euch das nötige Material bringen, könnt ihr malen, wo ihr wollt.«
Von morgens bis abends halten sie sich im Hof auf. Max malt Alice in 39 , ein kleines Bild im Stil russisch-orthodoxer Ikonen. Darauf lässt er Leonora zwischen Bäumen wiederaufleben.
Die in Les Milles internierten Juden werden nach Deutschland deportiert, und die französischen Behörden kündigen Ernst an, er und Bellmer würden bald zum Verlegen von Eisenbahnschienen nach Nordafrika geschickt.
Im November 1939 schickt der verzweifelte Max seinem Sohn Jimmy eine Postkarte nach New York, auf der er ihn daran erinnert, dass er sein Vater ist, und ihm von seiner Inhaftierung in Les Milles berichtet. Sicher könne Jimmy seine Beziehungen bemühen und für die Freilassung seines Vaters sorgen. ›Tu etwas, geh zu wichtigen Leuten.‹
An Weihnachten wird er tatsächlich entlassen und verbringt den Winter mit Leonora im Schnee, in einem für beide neuen Saint-Martin d’Ardèche. Nicht nur das Klima hat sich abgekühlt, sondern auch die Stimmung unter den Bewohnern. Sie haben Max für einen Franzosen gehalten, jetzt wissen sie, dass er Deutscher ist. Wenn das Paar ins Dorf kommt, wird es nur noch von Alphonsine mit offenen Armen empfangen.
»Ganz egal, was passiert, ich muss die Grenzen meines Geistes erforschen«, sagt Max.
»Falls dir dafür noch Zeit bleibt; denn seit ich mit dir zusammen bin, habe ich ein Gespür für Gefahr wie nie zuvor.«
»Genau wie du schwanke ich zwischen unterschiedlichen Gemütsverfassungen und werde mir immer stärker dessen bewusst, was mich erwartet.«
Leonora verrät Max nicht, dass sie in Paris auf Marie Berthe losgegangen ist und ihr eine Ohrfeige verpasst hat, an die sie sich mit Genuss erinnert.
»Und Hans Bellmer, Max?«
»Er muss ein paar Tage nach mir entlassen worden sein.«
»Bist du sicher?«
»Nein.«
Ein Dorfbewohner denunziert den Maler, und abermals stehen die Gendarmen vor der Tür.
»Sie sind Deutscher, wir nehmen Sie in Gewahrsam.«
»Beruhige dich, Leonora! Sprich mit unseren Freunden. Ich bin ja schon einmal freigelassen worden.«
»Setzen Sie sich hin und beherrschen Sie sich, Madame«, befiehlt der Beamte Leonora, die so heftig zittert, dass ihre Zähne klappern.
Die Angst in ihren Augen erfüllt den Raum.
»Ihr Mann ist nicht der Einzige«, stellt der Beamte klar. »Viele sind schon im Lager, wir haben Befehl, alle Ausländer zu überwachen. Sie sollen deportiert werden.«
Max kommt es nicht einmal in den Sinn, Leonora zu umarmen, er starrt nur vor sich hin, bis der Gendarme ihm Handschellen anlegt, ihn am Arm packt und abführt.
Kaum sind sie fort, lässt Leonora sich auf einen Berg Kartoffeln fallen, der sich unter ihrem Gewicht über die Küchenfliesen verteilt. Sie hebt sie nicht auf, ihre tränenblinden Augen sehen sie nicht einmal. Sie geht ins Dorf und trinkt mehrere Gläser Schnaps. Als Alphonsine ihr sagt, das Lokal schließe jetzt, kehrt sie nach Hause zurück, trinkt Kölnischwasser und erbricht sich die ganze Nacht, in der Hoffnung, dass die Magenkrämpfe ihren Schmerz lindern. Bei
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