Frau des Windes - Roman
Ungeheuers?«
»Die hat ihn erschaffen. Auch du trägst deine Echse in dir, und wenn du dich nicht mit all deinen Geschöpfen identifizierst, wirst du nie eine große Malerin werden.«
»Du bist das zweite Ungeheuer in meinem Leben, das erste war mein Vater. Mit deinem Bild hast du vorweggenommen, was in Spanien geschehen ist und jetzt in der Welt geschieht.«
Leonora verbrüdert sich wieder mit der Natur, wie sie es als Kind getan hat. Im Dorf fliegen die Vögel, die mit ihrem Gezwitscher alle anderen Laute überdecken, nur selten hoch. Die Bauern hüten ihre Weinberge wie ihren Augapfel, das rührt Leonora.
»Wenn die Deutschen kommen, vergrabe ich die besten Flaschen.«
»Mir tut der Wein in der Seele gut.«
»Mir im Herzen.«
Leonora verehrt ihre Reben ebenso, wie es die Bauern tun, und trägt stets ihre Rebschere in der Schürzentasche. Beschneiden ist etwas Wunderbares, genau wie die Sprache der Winzer: »Wein altert langsam, je langsamer, umso edler«, »Der Wein hat mich gelehrt, dass unsere Erde schon vor uns da war und noch lange da sein wird, wenn wir schon fort sind«, »Mit unserem Wein haben wir Kriege überlebt. Erst der Wein macht die Franzosen zu Franzosen. Ihren Esprit haben sie vom Wein«.
»Wenn der Regen nicht nachlässt, verdirbt die Ernte.«
Der Winzer Pierre schaut zum Himmel.
»Wir sollten ernten, bevor die Deutschen kommen und unsere Weinberge in Schlachtfelder verwandeln.«
»Versteckt den guten Wein«, rät man einander von Dorf zu Dorf. »Meinen 1932er darf kein boche trinken.«
Der Krieg
Leonora kümmert das alles nicht, Max und sie sind nicht Mann und Frau, sondern Vogel und Stute.
»Wie leichtsinnig du bist, Max!«, sagt Roland Penrose, der mit Lee Miller zu Besuch kommt. »In ganz Frankreich redet man vom bevorstehenden Krieg, und du malst ihn nur.«
So unglaublich es scheinen mag, Max, der die Gräuel des Ersten Weltkrieges miterlebt hat, macht sich nicht klar, in welcher Gefahr er als Deutscher in Frankreich schwebt.
»Du musst auf der Stelle verschwinden.«
»Nein, hier ist es nicht gefährlich«, antwortet Max, dem auch die warnenden Briefe seines Sohnes Jimmy auf die Nerven gehen. »Die Franzosen betrachten mich als einen der Ihren. Ich bin mehr Franzose als Deutscher.«
Gleichwohl ist die Gefahr so groß, dass eines Tages zwei Gendarmen ihn abholen und zusammen mit hundert anderen Deutschen in ein Gefangenenlager nach l’Argentière bringen. Alle Ausländer werden bis auf Weiteres unter Bewachung gestellt, insbesondere die Deutschen. Leonora als Engländerin hat indes nichts zu befürchten.
Sie mietet sich ein Zimmer im Ort, bringt Max täglich sein Mittagessen und versorgt ihn mit frischer Wäsche und Farbtuben. Man erlaubt ihr sogar, ihn bei seinen Rundgängen im Lager zu begleiten.
Tag für Tag steht sie am Tor, mit Brot, Milch und Gemüse, obwohl die Lebensmittel inzwischen rationiert sind und von immer schlechterer Qualität. Der ebenfalls inhaftierte Künstler Hans Bellmer, ein polnischer Jude, weist Max darauf hin, was für ein Glück er habe. Der findet es ganz normal, dass die Engländerin ihm zu Diensten steht.
Bellmer ermutigt ihn auch, sich wieder der Decalcomanie zu widmen. Weder die Offiziere noch die als Gefängniswärter eingesetzten Soldaten stören sich daran, dass die beiden im Hof malen. Max, nervös und deprimiert, fleht Leonora an, nach Paris zu fahren und mit Éluard zu reden, Freunde und Behörden zu mobilisieren, beim Präsidenten der Republik vorzusprechen, sich an den Erzbischof zu wenden, die himmlischen Heerscharen aufzuscheuchen und den Engeln die Federn zu rupfen.
»Ich sorge dafür, dass du freikommst«, verspricht sie ihm mit glühenden Augen.
»Beeil dich, ich fürchte, länger halte ich es hier nicht aus.«
Leonora reist nach Paris und trifft Éluard.
»Nur du kannst dich an den französischen Präsidenten wenden.«
Éluard ergreift Papier und Feder und schreibt an Albert Lebrun: ›Max Ernst ist einer der Maler aus der École de Paris, die die größte Wertschätzung und Anerkennung genießen, er gilt als Franzose und war der erste deutsche Maler, der in einem französischen Salon ausgestellt hat. Von seinen fünfzig Jahren hat er zwanzig in Frankreich verbracht. Er ist ein einfacher, stolzer, aufrechter und loyaler Mensch und mein bester Freund. Würden Sie ihn kennen, wüssten Sie rasch, dass diese Internierung nicht gerecht ist. In Saint-Martin d’Ardèche, einem Dorf nahe Montpellier, besitzt er ein Haus, das er
Weitere Kostenlose Bücher