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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Herr der Halluzinationen, Höllenmeister und Herrscher über die Unterwelt. Seine Pupillen gleichen denen von Don Luis. Mariano Morales spricht ein vornehmes Französisch mit ihr, wie sie es gar nicht mehr gewohnt ist.
    »Geht es Ihnen besser, Mademoiselle? Ich erkenne die Löwin nicht wieder, die vor vierzig Tagen hier ankam. Sie sind eine Dame.«
    Der alte Herr ordnet an, sie ins Sonnenzimmer zu bringen. Leonora gehorcht wie ein Stück Schlachtvieh. Nach dieser Schockbehandlung mitten im Anstaltsleben zu erwachen ist viel schlimmer, als angebunden zu sein.
    Leonora träumt, dass aus ihren Händen Pflanzen wachsen, die sich um ihren Körper winden. In Saint-Martin d’Ardèche hat Max sie in einem Dschungel gemalt, und beim Anblick des fertigen Bildes bekam sie Angst: »Deine Lianen und dein Gestrüpp werden mich verschlingen«, hat sie zu ihm gesagt.
    Sie vergisst, Don Luis daran zu erinnern, ihr immer noch stark entzündetes Bein zu heilen, stattdessen lässt sie sich auf eine hitzige politische Diskussion mit ihm ein, bei der sie Franco beschimpft. Während sie argumentiert, wird ihr bewusst, dass sie sauber und angezogen in einem Garten in der Sonne sitzt, der jenem ähnelt, von dem sie nachts geträumt hat.
    »Dank meines Wissens und meines Philosophierstabes kann ich machen, was ich will«, sagt sie zufrieden zu Don Luis.
    »Dann machen Sie mich zum besten Arzt der Welt«, erwidert dieser schmunzelnd.
    »Schenken Sie mir die Freiheit, und Sie werden es sein. Don Luis, ich habe jenseits der Wirklichkeit gelebt und hatte noch nicht erfahren, worin das Wesen von Leid besteht; seitdem ich hier bin, weiß ich es.«
    »Die Urheberin Ihres Leides sind Sie selbst, übernehmen Sie die Verantwortung dafür.« Das Schmunzeln verschwindet aus dem Gesicht des Arztes.
    »Ach ja? Und wer sind die Henker?«

Unten
    Don Mariano erlaubt ihr, nach Unten zu ziehen.
    Von der Vorstellung erschreckt, in einem Haus zu wohnen, in dem die Irren größere Freiheit haben, versucht Nanny, sie umzustimmen. Aus Angst, im Park vor dem Pavillon den umherspazierenden Insassen zu begegnen, weigert sie sich hartnäckig, Leonora nach Unten zu begleiten, bis diese schließlich fürchtet, Nanny könne recht haben.
    »Wenn Sie mir eine Leinwand und ein paar Tuben Farbe geben, Doktor, verspreche ich Ihnen, dass ich Sie nicht mehr belästige«, sagt Leonora.
    Morales lässt eine Leinwand von schlechter Qualität und verschiedene Farben, hauptsächlich Rottöne, besorgen. Gierig malt Leonora Down Below : ein Pferd, eine nackte Frau mit Vogelgesicht und eine Frau mit Flügeln vor einem düsteren, stürmischen Hintergrund sowie einen Pegasus, der im Begriff ist, sich in die Lüfte zu schwingen. Vorne sitzt eine weibliche Figur mit langen roten Strümpfen, die ihr Gesicht hinter einer venezianischen Maske mit Widderhörnern verbirgt und aus deren schwarzem Korsett milchig weiße Brüste hervorschauen. Doch damit nicht genug: Herausfordernd streckt sie dem Betrachter einen kräftigen weißen Oberschenkel entgegen, und in der Hand hält sie eine Maske, die Max Ernsts Gesicht sein könnte. Die Arbeit an dem Bild wühlt Leonora auf und erschöpft sie. Besessen malt sie Tag und Nacht. Nanny ist erschrocken über die Sinnlichkeit der Szene.
    Luis Morales lässt das Kindermädchen links liegen. Es fällt ihm schwer, ihr einen Platz zuzuweisen. Zwar spricht er genug Englisch, um sich mit ihr zu unterhalten, aber er versucht es nicht einmal.
    Nanny wurde mit einem Bericht über Leonoras Behandlung beauftragt, und Morales will es immer noch nicht in den Kopf, dass der Besitzer von Imperial Chemical Industries ein betagtes, unnützes Hausmütterchen mit einer solchen Mission betraut hat. Aber dort sitzt sie vor ihm und wartet auf Antwort. Hinter ihr erhebt sich gebieterisch Harold Carrington, der Geld aus England schickt und fragen lässt, wie denn die Diagnose lautet. Hysterie? Schizophrenie?
    »Wir wenden eine Krampftherapie an«, erklärt Luis Morales, »die die Patienten in ihren Normalzustand zurückversetzt.«
    »So etwas wie eine Ohrfeige?«
    »Ja, wie ein Eimer kaltes Wasser.«
    »Mit welchen Folgen? Auf mich macht Miss Carrington einen sehr schlechten Eindruck.«
    »Bisher haben wir sehr gute Ergebnisse erzielt.«
    Nanny muss an den Marquis Da Silva denken, der behauptet, Alfonso XIII . zu kennen, und fragt sich, was das für Ergebnisse sein sollen. Was hier mit Leonora geschieht, ist schändlich. Obwohl sie sich Leonoras Leiden nur entfernt vorstellen

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