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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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herbeigeeilt ist. »Frau Asegurado hat mich nicht wählen lassen. Ich bin nicht Ihr Eigentum. Ich habe meine eigenen Gedanken und meinen eigenen Wert. Ich gehöre Ihnen nicht.«
    Der Arzt nimmt sie beim Arm, und voller Entsetzen begreift Leonora, dass er ihr zum dritten Mal Cardiazol spritzen wird. »Nein, Doktor, bitte nicht!« Sie wirft sich zu Boden und verspricht ihm alles, was ihr in den Sinn kommt. Während Don Luis sie hochzieht, hebt sie eine kleine Eukalyptusfrucht auf. ›Die wird mir helfen‹, denkt sie und hält sie fest umklammert.
    Der Raum, dessen Wände eine rote Tapete mit silbernen Kiefern überzieht, versetzt sie in panische Angst.
    Sie ist entschlossen, sich mit aller Macht gegen den Augenblick des Krampfschocks zu wehren.
    In kataleptischem Zustand wird sie in ihr Zimmer zurückgebracht. »Was hat man nur mit dir gemacht … Was hat man nur mit dir gemacht?«, jammert Nanny in einem fort und weint an ihrem Bett.
    Nannys Schmerz macht Leonora nur wütend. Für sie verkörpert Nanny den väterlichen Sog.
    »Ich glaube, es ist besser, Sie kehren nach England zurück«, rät Don Mariano der Alten.
    »Ich weiß, dass ich sie auf die Palme bringe.«
    Der Arzt schaut sie mitfühlend an. Sie ist in seinem Alter, eine tapfere Frau, die mitten im Krieg übers Meer gereist ist. Ihr Leben lang hat sie die Kinder anderer Leute betreut.
    »Das war die letzte Cardiazoldosis«, erklärt er ihr teilnahmsvoll.
    Nannys Abreise ist eine ungeheure Erleichterung.
    Leonora schläft acht Stunden am Stück. Zum ersten Mal seit Monaten fühlt sie sich friedlich und entspannt. Gebadet, gekämmt, mit gewaschenem Gesicht und ruhigem Blick setzt sie sich neben Luis Morales auf eine Parkbank in die Sonne. In seinen vorstehenden Augen liegt etwas Versöhnliches, und Leonora wagt es nicht, auch nur einen Finger zu rühren, um den Zauber nicht zu brechen. Wohlwollend schaut Luis Morales sie an, die Sonne fällt sacht auf seine Schultern.
    Die Frau, die jetzt neben ihm sitzt, ist eine zarte, elegante, intelligente Person, eine besondere Patientin. Selbst in ihren schlimmsten Wutanfällen, selbst in ihrer Rage eines in die Enge getriebenen Tieres liegt etwas Übernatürliches, etwas, was sie von den anderen unterscheidet. Wie sie vom Kleiderschrank auf die Krankenschwester gesprungen ist, sie bei den Haaren gepackt und ihr den Arm um den Hals gelegt hat! Wie geschickt sie sich gewehrt hat, als man sie ans Bett schnallen wollte! Sie hat wirklich gekämpft um etwas, was die anderen vernichten wollten und was nur ihr gehört.
    »Bei Künstlern müsste man eine andere Behandlung anwenden«, sagt Don Luis zu seinem Vater. »Vielleicht wäre Malen eine gute Therapie. Weißt du, wer Salvador Dalí ist?«
    Der alte Arzt hat nicht die leiseste Ahnung vom Surrealismus und schweigt.
    »Ich glaube, diese Frau hat Schreckliches erlebt, und wir sollten sie entlassen«, fährt sein Sohn fort.
    »Noch ist sie nicht stark genug, um sich in die Gesellschaft einzufügen.«
    »Welche Gesellschaft meinst du denn, Vater? Ich würde es nicht wagen, Leonor irgendwo einzuordnen. Weißt du, was sie zu mir gesagt hat? ›Es gibt da etwas in mir, was ich bewahren muss, etwas, was ich nie mehr zurückbekomme, wenn ich zulasse, dass es zerstört wird‹.«
    »Sie ist noch nicht in der Lage, draußen zurechtzukommen«, wiederholt der Alte beharrlich.
    Leonora hat einen Cousin, der in Madrid als Arzt in einer staatlichen Heilanstalt arbeitet, er ist ein Verwandter der Moorheads. In der britischen Botschaft erfährt er von Leonoras Aufenthalt in Santander. Mariano Morales gestattet keine Besuche, der Cousin aber besteht auf einer Besuchserlaubnis, da er selbst Arzt ist.
    Im Park sieht Leonora einen jungen Mann auf sich zukommen.
    »Ich bin Engländer, mein Fachgebiet ist die Psychiatrie.«
    »Ich habe Macht über Tiere«, vertraut Leonora ihm an.
    »Bei einer so sensiblen Person wie Ihnen ist das etwas Natürliches.«
    Sie jubelt innerlich. Dieser Mann nimmt sie ernst. Und wie in einer plötzlichen geistigen Erleuchtung begreift Leonora, dass Cardiazol ein schlichtes Medikament ist und Don Luis kein Zauberer, sondern ein Schuft, dass Covadonga, Amachu und Unten nicht Ägypten, China und Jerusalem sind, sondern Pavillons, in denen Geisteskranke wohnen. Der englische Psychiater entzaubert das Geheimnis mit einem Mal, Van Ghents hypnotische Macht fällt in sich zusammen, und die Morales sind nicht länger Gottvater und Jesus Christus.

Die Freilassung
    Vater und

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