Frau des Windes - Roman
fällt.
»Das ist die Hand von Don Luis, der meinen Tod wünscht. Ich werde seinem Wunsch zuvorkommen«, versichert sie der Deutschen.
Alles hat für sie eine transzendentale Bedeutung. Fliegt die Tür durch einen Windstoß auf, ist das der Ruf des Gartens, und sie muss sofort hinaus.
Don Luis hat ihr einen Stock zum Spazierengehen geschenkt, sie hütet ihn wie ein Zepter.
Durch Leonoras Gedanken kreisen die Seiten von Alice und Götter, Menschen, Kobolde . Mit den drei Zahlen, auf die sie fixiert ist – die Sechs, die Acht und die Zwei –, stellt sie Berechnungen an. Das Ergebnis erinnert sie an die Queen Consort Isabel Bowes-Lyon.
»Ich bin die Königin von England.«
»Sagen Sie das dem Doktor«, knurrt Frau Asegurado.
Leonora läuft zum Sprechzimmer.
»Ich bin Königin Elizabeth von England.«
»Nein, Leonor, Sie sind Leonor Carrington, Sie brauchen nicht die Königin irgendeines Landes zu sein.«
»Aber erst muss ich all die Personen, die ich in mir habe, loswerden, und am unangenehmsten ist mir Elizabeth von England.«
»Dann gehen Sie und vertreiben Sie sie aus Ihrem Leben.«
In ihrem Zimmer errichtet sie ein Bildnis der Königin. Für die Beine verwendet sie einen dreifüßigen Tisch, darauf stellt sie einen Stuhl, der den Rumpf darstellen soll, und auf den Stuhl eine Likörkaraffe mit drei roten Rosen: die Bewusstseinskrone von Königin Elizabeth. Zum Schluss zieht sie ihr ihre eigenen Kleider an und stellt vor den Tisch ein Paar Schuhe von Frau Asegurado.
Glücklich über die geschaffene Figur, rennt sie in den Garten. Sie pflückt Zweige und Blätter, bedeckt sich damit von Kopf bis Fuß und robbt zur Tür, muss aber feststellen, dass sie verschlossen ist. In einem Zustand großer sexueller Erregung kehrt sie zu ihrem Pavillon zurück. Dort erscheint es ihr ganz natürlich, Don Luis vor dem Bildnis der Königin Elizabeth von England anzutreffen.
»Herzlichen Glückwunsch! Personen aus Ihrem Inneren zu vertreiben, die nicht zu Ihrem Wesen gehören, ist ein Zeichen von Vernunft.«
Don Luis streichelt ihre Wange und steckt ihr einen Finger in den Mund, sie empfindet Lust. Er nimmt seinen Rezeptblock, reißt ein Blatt heraus und schreibt darauf: ›Palast oder Hütte: entweder – oder.‹ Von diesem Augenblick an begehrt Leonora ihn und schreibt ihm täglich: ›Doktor, was bedeutet es, wiedergeboren zu werden? Etwas wächst in mir. Sie sind es, der all das auslöst, was in mir vor sich geht‹, ›Doktor, glauben Sie, dass ich Fortschritte gemacht habe und nach Unten ziehen kann?‹, ›Öffnen Sie mir die Tür, ich bin allein‹, ›In diesem Park sind nur wir beide. Nehmen Sie mich endlich, Doktor. Ich werde wahnsinnig, wenn Sie es nicht tun‹, ›Mein Wahnsinn ist meine unbefriedigte Lust‹, ›Ich ertrage mich selbst nicht, sehen Sie doch nur, wie mager ich bin‹, ›Ich gestehe meine Niederlage ein, Sie und die anderen sind stärker als ich‹, ›Ich bin Ihre Sklavin, ich bin das schwächste Wesen auf der Welt und stehe Ihnen zu Diensten, ich kann jeden Ihrer Wünsche befriedigen, ich lecke Ihnen die Schuhe‹, ›Ich bin bereit, zu sterben‹.
Luis Morales schweigt und vermeidet es, ihr allein zu begegnen.
»Wollen Sie sich von sich selbst ausruhen, oder sind Sie verrückt geworden wie Ihre Patienten?«, fragt Leonora ihn fünf Tage später von ihrem Kleiderschrank herab.
Nachlässig gekleidet, erregt und ungehalten läuft der Arzt auf und ab, begleitet von seinem Hund Moro. Leonora hat das Gefühl, die Macht seines Herrn habe sich auf Moro übertragen, der sie, falls sie einen Fluchtversuch unternähme, möglicherweise daran hindern würde. Und sie genießt die Vorstellung, dass Don Luis wahnsinnig geworden ist.
»Wie fühlt es sich an, auf der anderen Seite zu sein, Doktor?«
»Baden Sie die Engländerin, das wird sie beruhigen.«
»Wir könnten gemeinsam baden, Don Luis.«
Frau Asegurado badet sie in kaltem Wasser und bringt sie zu Bett. ›Man bereitet mich auf meine Hochzeitsnacht vor‹, denkt Leonora. Der Arzt hat zwar Moros Gesicht, aber den Körper eines Mannes. Sie schließt die Augen, jetzt hat Don Luis auch Moros Körper. ›Ich werde triumphalen Einzug in Unten halten.‹ Die Tür erstrahlt in so wundervollem orangefarbenen Licht, dass Leonora den Ausgang erahnt. Später bringt José ihr eine Zigarette und gibt ihr einen Gute-Nacht-Kuss.
Sie muss vierundzwanzig Stunden geschlafen haben. Ein alter Mann beobachtet sie, es ist der Direktor der Irrenanstalt, der
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