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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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zugehen, und als er sich umdreht, fällt Leonora in die Tiefe seiner wasserblauen Augen. Ebenso verwirrt wie sie schaut Max Ernst sie an. Keiner von beiden macht Anstalten, auf den anderen zuzugehen, er hält den Hammer in der Hand, sie ihre Zigarette, erschrocken mustern sie einander. Endlich legt Max den Hammer zurück und ergreift ihre Hand. Der Knoten in seinem Hals löst sich, und er erzählt ihr, wie er nach seiner Freilassung aus dem Lager in Les Milles nach ihr gesucht habe. Einen Monat nach seiner Festnahme habe er im Haus in Saint-Martin d’Ardèche ihre Nachricht vorgefunden: ›Lieber Max, bin mit C. abgereist, werde in der Extremadura auf dich warten.‹
    »Du bist einfach fortgegangen und hast nichts mitgenommen, hast das Haus einem skrupellosen Hotelier überschrieben. Du hast alles zurückgelassen, und jetzt ist alles verloren.«
    »Nichts ist verloren, wir haben uns ja wiedergefunden.« Leonora zittert, aber Max hört ihr nicht zu.
    »Ich bin nach Saint-Martin d’Ardèche zurückgekehrt, und du warst nicht da«, wiederholt er.
    »Wie ging es denn den Weinbergen?«
    »Erbärmlich, sie haben sie verkommen lassen, so sind die französischen Winzer. Von unserem Wein war keine einzige Flasche übrig. Ich habe mich ein paar Tage in Saint-Martin versteckt und dann einige von den Leinwänden zusammengerollt und alles, was ich konnte, mitgenommen. Alphonsine hat dauernd gesagt: ›Sie hat einfach den Kopf verloren.‹ Du seist im Café vorbeigekommen und habest ihr zugerufen, du würdest mit einem Freundespaar nach Spanien fliehen. Warum hast du nicht auf mich gewartet, Leonora?«
    »Ich wusste ja nicht, ob du zurückkommst, allein schon der Gedanke hat mich wahnsinnig gemacht. Wenn Catherine und Michel mich nicht mitgenommen hätten, hättest du mich im Haus angetroffen.«
    »Statt auf mich zu warten, bist du verschwunden.«
    »Und du, was hast du gemacht?«, unterbricht ihn Leonora und zündet sich die nächste Zigarette an.
    »Mich versteckt, die Bilder eingesammelt, und dann bin ich, sobald ich konnte, nach Marseille gefahren, um mich in der Villa Air Bel in Sicherheit zu bringen. Kay Sage, die Frau von Yves Tanguy, hat Peggy Guggenheim gebeten, meine Reise nach New York zu finanzieren. Ich habe Peggy angefleht, sie möge versuchen, die Skulpturen und Basreliefs aus Saint-Martin zurückzubekommen. Da sie sie aus den Cahiers d’Art kannte, hat sie sich von einem Notar bescheinigen lassen, dass sie mindestens 175000 Francs wert sind, und gerettet, was zu retten war. Übrigens habe ich dein Bild The Inn of the Dawn Horse und dein großes Gemälde Loplop, der Vogelobere bei mir.«
    »Gemälde?«
    »Ja. Oder hast du vergessen, dass wir Maler sind?«
    Max führt sie zu einem kleinen Café neben dem Markt, wo sie etwas weiter hinten Platz nehmen. Leonora kann es nicht fassen, vielleicht weiß er es gar nicht. Max erkundigt sich überhaupt nicht danach, wie es ihr geht, was sie durchgemacht hat, fragt nicht nach der Anstalt in Santander. Stur redet er von sich selbst, zählt die geretteten Bilder auf, spricht von seinem unvollendeten Gemälde Europa nach dem Regen , wiederholt die Zahl der an die Mauern von Saint-Martin d’Ardèche modellierten Figuren, ruft die mit dem Fisch auf dem Kopf in Erinnerung, die mit dem Hut, die mit dem Minotaurus.
    »Sogar die Bank, die ich bemalt hatte, haben sie mitgehen lassen, gegen das Basrelief haben sie getreten und die Tür eingeschlagen. Das Relief lässt sich wahrscheinlich restaurieren.«
    Immer wieder fängt er davon an, dass Leonora das Haus aufgegeben hat. Seine blauen Augen verfinstern sich, seine Gesten werden von Mal zu Mal schneidender. Er bestellt einen Kaffee nach dem anderen.
    »Und die Katzen, Max? Was ist aus den Katzen geworden?«
    »Wen kümmern schon Katzen?«, antwortet er noch gereizter.
    Leonora will sich ihre Zigarette anzünden, wühlt in ihrer Tasche und findet ihr Feuerzeug nicht, ihre ganze Daseinsberechtigung scheint genauso verschwunden zu sein. Sie sucht, und Max doziert. Er kennt nur ein Thema, die Kunst, und das lässt er sie mit solcher Kälte spüren, dass Leonora wieder zu zittern beginnt.
    »Max, lass mich ins Hotel zurückgehen, ich glaube, ich fühle mich nicht gut.«
    »Ich begleite dich, ich muss auch los und eine Freundin von der Bahn abholen.«
    In ihrem Zimmer legt Leonora sich aufs Bett und steckt den Kopf unters Kissen. Sie weiß nicht, dass Max gerade Peggy Guggenheim in Empfang nimmt, dass er die Mäzenin in ebendiesem

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