Frau des Windes - Roman
ebenfalls vergöttere. Er hat sie mir als Schutzpatronin der Künste vorgestellt, nicht als seine Geliebte.«
»Peggy, bitte«, wehrt Max ab.
»Max hält sie für ein Genie, nur weil sie ihn mal gemalt hat. Er unterstützt sämtliche jungen, hübschen, schmeichlerischen Mädchen. Mit den männlichen Malern ist er nicht so nachsichtig!«
»Dafür bist du die Nachsicht in Person, Peggy«, schaltet sich Kay ein.
Max rät ihr, ihre jüdische Herkunft zu verleugnen.
»Der Polizei habe ich gesagt, mein Großvater sei Schweizer und ich selbst Nordamerikanerin, und da die Nordamerikaner kürzlich eine ganze Ladung Lebensmittel nach Frankreich verschifft haben, waren die Inspektoren zuvorkommend.«
Peggy erzählt der Runde, dass Max kürzlich fünfzig Dollar in bar gebraucht und Chagall gebeten habe, sie ihm zu leihen.
»Der Russe antwortete, er verstehe nichts von Geld, Max solle mit seiner Tochter sprechen. Varian Fry dagegen, den Max auf der Straße traf, hat sofort sechzig Dollar gezückt und sie ihm gegeben. So konnte er Marseille mit seinen Bildern verlassen und nach Lissabon reisen.«
»Wusstest du, dass in Lissabon ein Hieronymus Bosch hängt?«, fragt Max Leonora. »Sollen wir nicht mal zum Nationalmuseum für Alte Kunst gehen, während Peggy die anderen mit ihren Geschichten unterhält?«
»Sehr gern.«
Die Versuchungen des heiligen Antonius bringen sie einander näher, und sie nehmen sich vor, eines Tages ihren eigenen heiligen Antonius zu malen. Schweigend bewundern sie die vielen Details auf dem vor fast fünfhundert Jahren entstandenen Gemälde: die Teufelskönigin, die Anbetung der heiligen drei Könige, die Schweine und Hündchen, die Turmruine, das Paar, das auf einem Fisch reitend auf und davon fliegt.
»Würdest du mit mir auf einem Fisch davonfliegen?«
Das Gefolge
Peggy, Leonora und Max verabreden sich zum Reiten.
»Als Kind«, erzählt Peggy, »bin ich bei einem Ausritt schwer gestürzt, bin aber gleich wieder aufs Pferd gestiegen, wie man es ja machen soll, mit gebrochenem Kiefer und mehreren ausgeschlagenen Zähnen.«
›Dann sind das gar nicht ihre eigenen Zähne?‹, denkt Leonora belustigt. Sie findet Peggy trotz ihrer guten Figur hässlich.
Peggy reitet nicht noch einmal mit aus, sieht Leonora indes oft, da Max sie nicht loslässt.
»Muss sie denn bei all unseren Frühstücken, Mittagessen, Abendessen, Spaziergängen und Besuchen dabei sein?«, beschwert sie sich.
Peggy, die Beschützerin, der sie alle ihr Leben verdanken, thront am Kopfende des Tisches, an dem Exmänner, Exfrauen, Geliebte und Kinder aus zerbrochenen Ehen Seite an Seite sitzen – eine Welt von Leuten, die sich treffen, um gemeinsam zu trinken. Peggy ist es auch, die am häufigsten ihr Glas erhebt, die anderen lachen, analysieren einander, entdecken geheime, magische Orte, geben Unsummen aus und fühlen sich wieder jung. Mittags um zwölf trinken sie ihre ersten Cocktails – die Frauen am liebsten Portwein mit Eis – und im Morgengrauen nehmen viele ihren Drink mit ins Bett. Sie prahlen mit ihren ménages à trois . Am nächsten Mittag beginnen sie erneut zu trinken und halten den ganzen Nachmittag Siesta.
»Wusstest du, dass der Grieche Niarchos in seiner Jacht einen El Greco hängen hat?«
»Wie gewagt!«, ruft Peggy.
Kay fängt wieder davon an, dass die europäischen Kunstwerke in Gefahr sind und die Bilder der Guggenheim-Sammlung womöglich gerade im Maul eines Haifisches stecken.
»Franco ist gefährlicher, der würde, ohne mit der Wimper zu zucken, einen Picasso mit einem leckeren Sonnenblumensalat verspeisen.«
Neben der Angst vor den Nazis geht es immer wieder um das eine: um Leonoras Zwangseinweisung in die psychiatrische Anstalt von Santander.
»Ich verstehe, dass sie durchgedreht ist«, sagt Kay. »Mit dreiundzwanzig ist es nicht leicht, in wilder Ehe mit einem deutschen Genie zusammenzuleben, weit weg von der Familie und in einem fremden Land. Da hätte ich auch Depressionen bekommen. Außerdem – was tun gegen den Krieg? Sterben oder verrückt werden.«
»Sie ist nur noch Haut und Knochen und beäugt uns ängstlich«, stellt Laurence Vail fest.
»Wenn es nur das wäre. Ich finde, sie verhält sich auch manchmal sehr merkwürdig«, fährt Kay Boyle fort.
»Wie merkwürdig?«
»Zum Beispiel sucht sie dauernd verzweifelt irgendwas in ihrer Tasche. Dann raucht sie wie ein Schlot und schaut sich ununterbrochen um, als würde sie verfolgt. Und ständig reibt sie sich die Hände – das ist ein
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