Frau des Windes - Roman
Augenblick mit verzerrtem Gesicht und erstickter Stimme unterhakt und ihr, die eben erst einen Fuß auf den Bahnsteig gesetzt hat, zuraunt:
»Es ist etwas Schlimmes passiert, ich habe Leonora wiedergefunden.«
»Wie gut für dich.« Vom Schlag getroffen, wächst Peggy über sich hinaus.
Sie gehen ins Hotel, versuchen, locker und natürlich zu sein, entkorken mehrere Flaschen Wein. Um Mitternacht schlägt Max Peggy vor, spazieren zu gehen. »Ich habe sie wiedergefunden, ich habe sie wiedergefunden«, wiederholt er auf Schritt und Tritt, und jedes Mal trifft der Satz Peggy wie ein Hammerschlag im Nacken.
»Du siehst und begreifst wohl nichts!«, knurrt Max, da sie nicht antwortet.
»Was soll ich begreifen, Max? Du und ich … Ich weiß nicht, was wir sind. Sind wir irgendwas?«
Max schweigt. Es ist Peggy, die seine Reise nach Amerika bezahlt, Peggy, die das Bett mit ihm teilt.
»Wir könnten uns mit Leonora verabreden, damit ich sie kennenlerne«, schlägt sie Max vor.
»Du kennst sie doch schon.«
»Na gut, damit ich sie wieder kennenlerne«, verbessert sie sich.
Die drei trinken zusammen Tee, und Leonora erzählt von dem Mexikaner, den sie heiraten wird oder schon geheiratet hat.
»Um vor Imperial Chemical Industries und meinem Vater zu fliehen, bin ich zu allem bereit. Ich will am Ende der Welt leben, damit meine Eltern mich nicht finden«, sagt Leonora wild entschlossen.
»Amerika ist das Ende der Welt«, erwidert Max angespannt, das Gesicht von Verlangen gezeichnet. Seine großen blauen Augen verfolgen Leonora und registrieren jede ihrer Gesten. Sie tut, als merke sie es nicht, bestellt noch einen Tee und tritt Peggy auf den Fuß.
An diesem Abend zieht die Millionärin in ein anderes Zimmer.
»Als guter Latino ist Renato eifersüchtig«, erzählt Leonora.
Peggy schlägt vor, ihn zum Abendessen einzuladen – eine kleine Rache an Max. Leonora ist einverstanden.
»Er kann nur abends, tagsüber arbeitet er.«
»Ist er Botschafter?«, erkundigt sich Peggy.
»Nein, zweiter Konsul.«
Leonora reicht Peggy die Hand, steckt Max eine Nelke ins Knopfloch seines Jacketts und küsst ihn.
»Der Krieg hat uns alle verrückt gemacht«, sagt Max zu Peggy, als sie zu ihrem Hotel zurücklaufen, »aber keiner von uns ist so zerbrechlich wie Leonora.«
»Und nur weil ich Geld habe, bin ich nicht zerbrechlich?«, erwidert Peggy.
Die Luft ist zum Schneiden. Max reicht ihr nicht einmal den Arm, in sein schwarzes Cape gehüllt, läuft er gedankenverloren neben ihr her.
In Lissabon ist kein einziges Hotelzimmer mehr frei, die Leute setzen sich ins Café und warten, stehen auf und gehen ins nächste Café, um dort weiterzuwarten. Nach zwei oder drei Stunden kehren sie wieder zum ersten zurück. Peggy wohnt mit ihren Kindern Sindbad und Pegeen im Hotel Frankfort-Rocío, flüchtet sich jedoch in ihrer Verzweiflung in die Arme ihres Exmannes Laurence Vail. Sie teilt ihm mit, dass sie ihre Reise in die Vereinigten Staaten stornieren werde.
»Ich bleibe in England, um der Royal Air Force zu helfen. Die Kampfflieger brauchen mich.«
»Das ist verantwortungslos. Sindbad und Pegeen, deine Freunde und ich sind von dir abhängig!«
Dann nimmt Laurence Vail sie in den Arm.
Leonora kommt nicht nur Peggy in die Quere, sondern auch Laurence Vail und seiner zweiten Frau, der Malerin und Schriftstellerin Kay Boyle. Und vor allem Peggys neuem offiziellen Geliebten: Max Ernst.
Einst durch die magnetischen Felder verbunden, hat der Krieg sie aus der Bahn geworfen, sie schreien sich an, streiten, versöhnen sich wieder, trinken und umarmen sich, lieben sich leidenschaftlich und erinnern sich am nächsten Morgen weder an den Grund ihres Wutausbruchs noch daran, mit wem sie die Nacht verbracht haben. Sie kennen das Leben der anderen wie ihre Westentasche, enthüllen einander Schweinisches und Schlüpfriges. Jeder soll sie sehen, jeder soll wissen, wie sie sind, was sie wert sind. Sich zeigen ist ihr Lebensinhalt; das einzige Geheimnis, das sie für sich behalten, sind ihre Einkünfte.
Sie reden viel über Varian Fry und die Villa Air Bel in Marseille, das große Haus, das Breton ›Villa Espervisa‹ getauft hat.
»Warum nennt ihr es so?«, fragt Leonora naiv.
»Weil wir genau das dort getan haben: espérer un visa – auf ein Visum warten. Hast du nicht mitbekommen, wie schwer es ist, ein Visum für Spanien oder Portugal zu bekommen?«
»Sag Peggy …«
»Peggy soll …«
»Peggy bekommt demnächst eine Überweisung von der
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