Frau Holle ist tot
Nussbäumen« niedergegangen, aber es hatte bereits wieder aufgehört
zu regnen, und die Sonne schien auf das nass glänzende Laub. Mayfeld genoss die
Sinfonie der herbstlichen Farben, während er auf seine Kollegen wartete, die
allmählich zur Morgenbesprechung der Arbeitsgruppe Holler eintrudelten.
In seiner Post hatte er die Ladung zu einer Anhörung
wegen des anhängigen Disziplinarverfahrens gefunden. Er nahm sich vor, sich
dadurch den Tag nicht verderben zu lassen. Wer in der Küche arbeitet, darf die
Hitze nicht scheuen, sagte er sich.
Als Erste betrat Winkler den Raum, sie war trotz
schniefender Nase und Husten wieder zum Dienst erschienen. Ihre Gesundheit
versuchte sie mit einem rosa Angorapullover und Kräutertee zu pflegen. Burkhard
kam als Nächster herein. Er setzte sich mit ernster Miene an den
Besprechungstisch, sein lässiges Grinsen hatte er zu Hause oder in seinem Büro
gelassen. Der Kollege wirkte seit der Rückkehr aus dem Urlaub sehr konzentriert
und engagiert. Es geschehen noch Zeichen und Wunder, dachte Mayfeld etwas
ungläubig. Adler brachte wie immer einen dicken Stapel Papiere in die
Besprechung mit. Er entschuldigte Meyer, der noch beschäftigt sei.
Mayfeld berichtete von der Obduktion.
»Wir wissen jetzt also, dass Holler erwürgt wurde und
erst einige Zeit nach ihrem Tod auf das Sofa gesetzt wurde. Es kann sein, dass
sie vor ihrem Tod mit einem Elektroschocker hilflos und bewegungsunfähig
gemacht wurde«, sagte er abschließend. »Gab es das in letzter Zeit gehäuft,
Einbrecher mit Elektroschocker?«, fragte er in die Runde.
Burkhard wusste von einigen Fällen in Frankfurt und
Offenbach, in Wiesbaden und dem Rheingau war eine solche Vorgehensweise noch
nicht bekannt geworden.
»Was gibt es Neues vom Tatort?«, fragte Mayfeld.
»Wir haben die Ergebnisse der DNA -Analysen«,
berichtete Adler. »Die Spuren an Hollers Nachthemd, an dem Sofa, auf dem Holler
saß, an dem aufgeschlitzten Kissen und vom Baumhaus stammen von ein und
derselben Person, einem Mann. Auf dem Nachthemd haben wir außerdem Spuren einer
zweiten Person gefunden. Der Abgleich mit den Spuren unter Hollers Fingernägeln
ist in der Mache. Wie ich schon gestern berichtet habe, sind die Fingerabdrücke
vom Baumhaus identisch mit denen auf der Klinke am Hintereingang des Hauses und
denen auf dem Telefon, von dem aus die Polizeidienststelle in Eltville
angerufen wurde. Man findet sie auch auf den Tierfiguren, die um die Leiche
herum gruppiert waren.«
»Das ist ein Volltreffer«, entfuhr es Burkhard.
»Der uns momentan leider noch nicht allzu weit führt«,
entgegnete Adler. »Weder die Fingerabdrücke noch die DNA haben wir in unseren Computern.«
»Der Mörder hat die Holler eine Weile ausgespäht«,
überlegte Burkhard.
»Oder ein Zeuge«, wandte Mayfeld ein. Burkhard war ihm
wie so oft zu schnell mit seinen Schlüssen.
»Kommt dir das wahrscheinlich vor?«, widersprach der
Kollege.
»Es ist noch zu früh für Festlegungen«, wiederholte
Mayfeld das Mantra besonnener Polizeiarbeit.
Meyer schlurfte ins Besprechungszimmer herein, setzte
sich an den Tisch und packte die Tüte vom Konditor aus. Diesmal gab es zwei
Stücke Bienenstich vor der Insulininjektion.
»Du wolltest doch über alles informiert werden, was
uns im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen auffällt, Robert. Ich hab
gerade mit der Polizeistation in Rüdesheim telefoniert. Gestern Abend wurde
dort eine Marie Lachner von ihren Eltern als vermisst gemeldet. Sie ist
vierzehn Jahre alt und seit Samstag verschwunden.«
»Und die melden sich erst zwei Tage später bei der
Polizei?«, fragte Mayfeld.
»Wenn die Eltern gleich am selben Tag, an dem ihre
Gören verschwinden, bei uns auftauchen, passt es uns doch auch nicht«, meinte
Meyer. »Dann sagen wir ihnen, dass ihre Töchter oder Söhne bestimmt am nächsten
Tag wieder auftauchen.«
Da hatte Meyer recht. Dennoch fand Mayfeld die
Lässigkeit der Lachners befremdlich. Was man als Beamter besorgten Eltern zur
Beruhigung sagte und was besorgte Eltern taten, waren zweierlei Dinge.
»Die Eltern dachten, Marie sei bei einer Freundin,
aber die Freundin ist nicht erreichbar«, fuhr Meyer fort. »In der Schule war
Marie auch nicht. Das haben die Eltern gestern Abend von einem Nachbarsmädchen
erfahren, das in die gleiche Klasse geht. Anschließend sind sie zur Polizei
gegangen.«
Burkhard blätterte in seinen Unterlagen. »Ich habe
hier eine Liste der Patienten von Sylvia Holler, wie sie sich aus den
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