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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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gemacht hatte.
    Sie versuchte noch einmal, über das Riesenmonster
hinwegzusteigen. Alles tat ihr weh. Die Rippen taten beim Atmen weh, der
Fußknöchel bei jeder Bewegung. Mit ihrer Ferse stieß sie an sein Knie, und der
Riese fuhr mit einem Grunzen, das die ganze Hütte erzittern ließ, in die Höhe.
    »Steh auf, Faulenzerin, trag Wasser und koch deinem
Bruder etwas Gutes, der sitzt draußen im Stall«, rief er im Halbschlaf.
    Sie hielt die Luft an, und auch das tat weh. Sie bekam
einen Hustenanfall, und die Schmerzen in ihrem Brustkorb explodierten. Der
Riese wurde wach. Er schaute auf sie, dann auf sich, dann auf den Deckenwulst
zwischen ihnen beiden.
    »Lass die Mädels schön in Ruh«, murmelte er vor sich
hin. »Die Mama will das nicht.«
    Sie bewegte sich nicht und ließ die Minuten
verstreichen.
    »Willst du Frühstück?«, fragte er nach einer Weile.
    »Klar doch«, sagte sie und versuchte tapfer zu
lächeln.
    Er sprang aus dem Bett. »Pfannenkuchen mit Schinken
und Ahornsirup, Rezept einhundertvierundzwanzig.« Er warf sich einen mit
Vogelmotiven bestickten Morgenmantel über seine Klamotten und verschwand aus
dem Zimmer. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss.
    Das war schon das zweite Mal, dass sie hier wach
wurde, und sie wusste immer noch nicht, wie ihr Entführer hieß. Sie hatte immer
noch keine Ahnung, wo sie war. Mit den Daten, die ihr das Navi von Annikas
Handy geliefert hatte, konnte sie nichts anfangen. Längen- und Breitengrade,
wer brauchte denn so was? Aber was noch schlimmer war: Sie wusste ums Verrecken
nicht, wie sie hierhergekommen war.
    Sie kramte in ihrem Gedächtnis. Einige Erinnerungen
waren gestern schon wieder aufgetaucht. Am Freitagabend hatte sie sich mit
Annika in Wiesbaden in den Reisingeranlagen getroffen. Sie wollten am nächsten
Tag gemeinsam abhauen, wobei Annika eigentlich gar nicht abhauen musste, sie
war ja schon volljährig.
    Am nächsten Tag hatte sie am Mittelheimer Bahnhof auf
sie gewartet, aber Annika war nicht gekommen, und sie war zu ihr nach Hause
gegangen. Dort hatte sie Annika halb bewusstlos angetroffen, hatte den Notarzt
gerufen, sich Annikas Tasche geschnappt, die Flasche Wodka und das Handy
hineingetan und war verschwunden. Irgendetwas von fertigmachen, von Kevin und
dem Arschloch, von ihrem Handy und einem Video hatte Annika gemurmelt. Und dass
sie das Handy niemandem geben sollte.
    Und dann verschwanden die Scheißerinnerungen genauso,
wie sie das gestern getan hatten. Was dann passiert war, tauchte wie in einem
Nebel unter. So etwas hatte sie noch nie erlebt, totaler Filmriss. Und das
wegen des bisschen Wodkas. Na gut, wegen einer halben Flasche. Aber so war es
nun mal, irgendwann war immer das erste Mal.
    Fast wäre sie wieder eingedämmert, doch dann schreckte
sie auf. Jetzt tat auch noch der Magen weh. Der Schlüssel drehte sich im
Schloss, das Monster kam wieder.
    »Frühstück ist fertig!«
    Mit der einen Hand balancierte er ein Tablett, mit der
anderen winkte er sie zu sich an den Schreibtisch. Dorthin stellte er das
Tablett. Er hatte tatsächlich Pfannenkuchen gemacht. Vier Stück, je zwei auf
einem Teller. Neben den Tellern stand ein Krug.
    »Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich
der Königin ihr Kind«, sang er vor sich hin. »Pfannenkuchen mit Schinken und
Ahornsirup, Rezept einhundertvierundzwanzig. Hollersaft, Rezept eins.«
    Er goss Saft aus dem Krug in zwei Becher aus Steingut.
    »Setz dich!« Er deutete auf den Drehstuhl vor dem
Schreibtisch und zog sich einen Hocker heran.
    »Iss!«
    Sie tat, was er von ihr verlangte. Die Pfannkuchen
schmeckten gut.
    »Wie heißt du denn?«, fragte sie, als sie fertig mit
dem Essen war.
    Der Riese dachte einen Moment nach, dann schüttelte er
wieder die Hände, als ob er sie sich verbrannt hätte.
    »Ououououou! Heißt du vielleicht Rippenbiest oder
Hammelswade oder Schnürbein? Kunz oder Heinz? Kaspar, Melchior oder Balzer?«
    Das hatte er bereits gestern gesagt. Er lachte, als ob
er einen guten Witz gemacht hätte. Leider verstand sie den Witz nicht.
    »Also, ich heiße Marie.«
    Er jauchzte begeistert auf. »Goldmarie? Pechmarie?«
    »Einfach nur Marie. Und wie heißt du?«
    »Du musst raten!«
    Also gut, sie würde ihm den Gefallen tun und das Spiel
mitmachen. »Kaspar, Melchior oder Balzer?«
    »So heiß ich nicht, so heiß ich nicht!«
    »Kunz oder Heinz?«
    »So heiß ich nicht, so heiß ich nicht!«
    Die anderen komischen Namen hatte sie sich nicht
merken können. Der Typ war total

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