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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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durchgedreht.
    »Du redest ein bisschen komisch, kann das sein?«
    »Ich bin nicht komisch im Kopf«, schrie der Riese und
schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch.
    Einer der Becher mit Hollersaft fiel um und ergoss
seinen Inhalt zwischen die Teller.
    »Ich bin nicht komisch.« Er schüttelte aufgeregt seine
Hände. Dann zeigte er mit dem Finger auf sie, seine Stimme klang jetzt
bedrohlich. »Ich bin nicht komisch, gib es zu!«
    Maries Mund wurde trocken, das Herz schlug ihr bis zum
Hals. Sie war zu weit gegangen. Sie hatte das Psychomonster zu sehr gereizt.
Hoffentlich regte er sich bald wieder ab.
    »Du redest anders als die anderen. Das ist voll cool.«
    »Cool, aber nicht komisch, gib es zu!« Er wirkte schon
ein bisschen weniger gereizt.
    »Na klar, cool, aber nicht komisch. Warum redest du
denn so?«
    Der Riese schien sich wieder zu beruhigen. Er dachte
jetzt angestrengt nach.
    »Warum, warum, warum? Ich rede halt so. Immer wie im
Märchen. Ich kann zweihundert Märchen auswendig. Alle von den Brüdern Grimm.
Die hat mir die Frau Holle erzählt. Als Nächstes lern ich die von Ludwig
Bechstein, das sind achtzig Stück.«
    Oma hatte ihr auch immer Märchen vorgelesen, nachdem
sie aus dem Krankenhaus zurückgekommen war, erinnerte sich Marie. Die Leute,
die behaupteten, ihre Eltern zu sein, hatten das nie gemacht. Jetzt fiel ihr
das Märchen wieder ein, aus dem der Riese gerade zitiert hatte. Von der
Körpergröße kam es zwar nicht hin, aber sie konnte es ja mal versuchen.
    »Heißt du etwa Rumpelstilzchen?«
    Der Riese schaute betreten nach unten, als ob sie ihn
bei einer Lüge ertappt hätte.
    »Ich bin nicht das Rumpelstilzchen. Ich bin der
Basti.«
    Er wurde auskunftsfreudiger. Das musste sie nutzen.
    »Nett, dich kennenzulernen, Basti.« Das war zwar
gelogen, aber so machten es die Erwachsenen auch immer. Sie schaute ganz lieb
und klimperte ein bisschen mit den Augenlidern. »Wie bin ich denn
hierhergekommen?«
    »Ich hab dich hierhergebracht.«
    Das hatte sie sich gedacht. »Warum?«
    Die Frage schien er wieder nicht zu verstehen. Sie
wiederholte die Frage. Er zwirbelte sich seinen Bart.
    »Ououououou. Ich hab dich halt hergebracht. Um
Mitternacht ging der Wind so kalt.«
    »Hast du mich um Mitternacht zu dir gebracht?«
    Basti nickte. »Am Samstag in der Nacht hab ich dich
von der Bubenhäuser Höhe runter ins Tal getragen.«
    Am Samstag war sie bei Annika in Oestrich gewesen. Die
Bubenhäuser Höhe war aber in Rauenthal. »Hast du mich auf der Bubenhäuser Höhe
gefunden?«
    »Nun wurden Boten weit und breit umhergeschickt, eine
Braut zu suchen, die an Schönheit der verstorbenen Königin ganz gleichkäme. Es
war aber keine in der ganzen Welt zu finden, und wenn man sie auch gefunden
hätte, so war doch keine da, die solch goldene Haare gehabt hätte.«
    Der Typ sprach in Rätseln. Fragte sich nur, ob das
Absicht war oder ob er nicht anders konnte. Irgendetwas in seiner Antwort
beunruhigte sie. Und es war nicht die Tatsache, dass sie keine goldenen Haare
hatte.
    »Welche Königin ist verstorben?«, fragte sie
beklommen.
    Jetzt schüttelte er wieder seine Hände. »Ououououou.
Das ist nichts für kleine Mädchen.«
    Plötzlich wehte ein kalter Hauch durch das düstere
Zimmer. Ihr wurde schlecht, obwohl ihr die Pfannkuchen gut geschmeckt hatten.
Hatte der Riese gerade nicht etwas von Frau Holle gefaselt? Nun fiel es Marie
wieder ein. Am Samstag war sie nach ihrem Besuch bei Annika zu Frau Dr. Holler
gefahren.
    »Kennst du Frau Dr. Holler?«, fragte sie.
    Der Riese wurde unruhig und rutschte auf seinem Hocker
hin und her.
    »Die hat mir die Märchen erzählt. Einmal erzählt und
schon hab ich sie mir gemerkt. Da hat sie gestaunt, die Frau Holle.«
    »Ich muss unbedingt mit ihr reden«, platzte es aus
Marie heraus.
    Basti senkte seinen Blick. »Geht nicht«, murmelte er.
    »Warum nicht?«
    »Darum nicht.«
    »Was ist mit Frau Dr. Holler?«
    Er sprang von seinem Hocker auf. »Ich hab sie nicht
totgemacht«, schrie er und gestikulierte aufgeregt mit den Händen.
    Jetzt fühlte sich die Luft im Zimmer eiskalt an. Kein
Laut drang mehr herein. Es war, als ob draußen die Zeit stehen geblieben wäre
und sich hier drinnen alles nur noch in Zeitlupe bewegen würde, während die
Erinnerungen im Eiltempo an ihr vorbeirasten, um gleich wieder zu verschwinden.
Erinnerungen, wie sie von Annikas Wohnung zu Frau Dr. Holler fuhr. Wie sie
klingelte. Wie sie im Vorbau ihres Hauses vor der Eingangstür auf sie

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