Frau Holle ist tot
Herr Möller wohl zum
Luftschnappen in den Garten gegangen. Da war der Krimi schon zu Ende, und ich
lag im Bett.«
»Was genau haben Sie gehört?«
Krause überlegte lange.
»Beim ersten Mal so was wie eine Tür, die zuschlägt,
beim zweiten Mal klang es, als ob etwas fallen würde. Beim dritten Mal war es
wieder eine Tür und Schritte. Aber das hätte auch alles gut zu dem ›Tatort‹
gepasst.«
»Außer beim dritten Mal, da lagen Sie schon im Bett.«
»Ich bin den Krimi in Gedanken noch mal
durchgegangen.« Krause versuchte ein Lächeln. »Es passiert ja so wenig in der
Wirklichkeit.«
»Wie man es nimmt«, versetzte Mayfeld.
Die Befragungen der Nachbarn ergaben nichts. Außer
Herrn Krause hatte kein Bewohner etwas gesehen oder gehört. Vielleicht
förderten die Kollegen der Spurensicherung, die mittlerweile im Rotkäppchenweg
eingetroffen waren, noch etwas Brauchbares zutage, oder die Bewohner der
anliegenden Häuser hatten etwas Interessantes gesehen. Adler schätzte, dass der
Todeszeitpunkt zwischen zweiundzwanzig Uhr am Mittwoch und vier Uhr am nächsten
Morgen lag, außerdem fanden die Beamten heraus, dass Kevin ein Gehaltskonto
besaß, auf das die Firma Gebrauchtwagen Novotny monatlich tausend Euro
überwies.
Mayfeld verließ mit Winkler und Burkhard das Haus. Sie
gingen zu ihren Wagen. Mayfeld telefonierte mit Meyer und bat ihn, die Adresse
von Jan Novotny rauszusuchen. Der Rückruf Meyers erfolgte kurze Zeit später.
Meyer lieferte auch gleich das Vorstrafenregister von Novotny mit. Er war vor
fünfzehn Jahren wegen Autodiebstahls und vor zwölf Jahren wegen
Körperverletzung verurteilt worden. Seither war er entweder gesetzestreuer oder
vorsichtiger geworden.
Mayfeld bat Burkhard, bei Novotny Erkundigungen über
Kevin einzuholen und dem Autohändler auf den Zahn zu fühlen.
»Das ist vermutlich eine Sackgasse, Robert«, sagte
Burkhard.
»Das wissen wir erst, wenn wir sie gegangen sind«,
entgegnete Mayfeld. Innerlich gab er dem Kollegen recht. Doch Burkhard wusste
genauso gut wie er, dass Novotny überprüft werden musste.
Die gemeinsame Handschrift der beiden Morde wies auf
Sebastian Fromm.
Mayfeld verabschiedete sich von den beiden Kollegen.
Er fuhr nach Dotzheim. Die Horst-Schmidt-Kliniken waren von der Siedlung
Märchenland nur wenige Minuten entfernt. Dort lag Waltraud Fromm. Aus den
Lautsprechern der Musikanlage perlten die Töne der »Gymnopédie No. 2« von
Satie. Sie schwebten wie schwerelos in der Luft.
Mayfeld versuchte, Ordnung in seine Gedanken und
Beobachtungen zu bringen. In komplexen Ermittlungen war es oft so, dass die
verschiedenen Erkenntnisse und Spuren zwar Zusammenhänge erahnen ließen,
dennoch schwebten sie gewissermaßen unverbunden nebeneinander. Irgendwann bekam
das Ganze dann eine deutlichere Gestalt, eine Melodie, ein Leitmotiv wurde
erkennbar, ein Zentrum, auf das sich alles bezog. Doch so weit war er bei
diesen Ermittlungen noch nicht.
Mayfeld erreichte die Klinik und parkte direkt vor dem
Eingang des riesigen Gebäudekomplexes aus Beton und Glas. In der großen
Eingangshalle ging er am Café und den kleinen Lädchen vorbei zum
Informationspunkt und fragte nach Waltraud Fromm. Nach mehreren Telefonaten
konnte ihm die Frau hinter dem Infopunkt die Station mitteilen, auf der er die
Patientin antreffen würde.
Waltraud Fromm lag in einem Zimmer, von dessen Fenster
sich ein überwältigender Blick über Wiesbaden bot, von den Taunushügeln bis zum
Rhein-Main-Gebiet und dem Odenwald. Alles war in das warme Licht der Herbstsonne
getaucht.
Der Frau ging es schlecht, das sah auch jeder
medizinische Laie. Maximal zehn Minuten hatte die Stationsärztin für das
Gespräch genehmigt. Waltraud Fromms Gesicht war blass und eingefallen, bloß um
Nase und Wangen wies es eine auffällige Rötung auf, die entfernt an einen
Schmetterling erinnerte. Sie atmete schwer, als sie sich aufsetzte, um den
Besucher zu begrüßen. Ihr Gesicht nahm einen panischen Ausdruck an, als Mayfeld
seinen Dienstausweis zeigte und meinte, er wolle sich mit ihr über Sebastian
unterhalten. Es würde ihr vermutlich das Herz brechen, wenn man ihren Sohn
eines schweren Verbrechens überführte, dachte Mayfeld beklommen.
»Was ist mit meinem Jungen?«, fragte sie mit zittriger
Stimme.
»Sie haben gestern Sebastians Vater angerufen und ihn
gebeten, nach Ihrem Sohn zu schauen. Georg Fromm hat Sebastian sofort besucht.
Bei der Gelegenheit hat Ihr Sohn Ihren Exmann verprügelt.«
Über Waltraud Fromms
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