Frau Holle ist tot
Lieferwagen und das Auto des Arschlochs. So nannte ihn Annika
jedenfalls. Das Arschloch kam aus der Tür der Mühle. Maries Herz krampfte sich
zusammen. Gleich musste sie sterben, das fühlte sie ganz deutlich. Sie drehte sich
weg und klammerte sich an ihren Begleiter.
»Bring mich hier weg. Weg von dem Dreckskerl!«
»Ist das ein böser Mann?«, fragte Basti.
Marie nickte.
»Ich fürchte mich vor dem Teufel nicht«, hörte sie ihn
sagen.
***
Mayfeld klingelte zum dritten Mal. Nichts rührte
sich in der Souterrainwohnung im Rotkäppchenweg. Ein paar Bewohner der oberen
Etagen standen neugierig im Treppenhaus, ein weißhaariger Rentner im
Morgenmantel, eine etwa fünfzigjährige Frau mit Lockenwicklern und eine
unausgeschlafen wirkende junge Mutter mit einem Baby auf dem Arm. Niemand hatte
einen Schlüssel für die Nachbarwohnung. Mayfeld wies einen uniformierten
Kollegen an, die Tür aufzubrechen.
Als Erstes kamen sie in den Raum, den Mayfeld bei der
Vernehmung Kevins als dessen Wohnzimmer identifiziert hatte.
»Gemütlich ist anders«, lautete Burkhards Kommentar,
nachdem er einen Blick auf das Chaos geworfen hatte, den umgeworfenen Stuhl,
den Wäscheberg auf dem Sofa, die CD s auf dem
Boden.
»Sieht wie nach einem Kampf aus«, bemerkte Winkler.
»Gestern sah es hier ähnlich aus«, antwortete
Burkhard, aber Mayfeld fiel auf, dass das nicht ganz stimmte. Auf dem Tisch,
der dem Sofa mit dem Wäscheberg gegenüberstand, hatte er gestern ein Notebook
bemerkt, das jetzt nicht mehr da war.
Er rief noch mal Kevins Namen, aber niemand meldete
sich. In der Luft lag leichter Verwesungsgeruch.
»Das roch gestern schon so ähnlich. Es kommt daher.«
Burkhard deutete auf eine Tür.
Mayfeld öffnete sie. Dahinter befand sich die Küche.
Stapel mit ungespültem Geschirr türmten sich neben angebrochenen Fischdosen,
vollen Aschenbechern und leeren Pizzakartons. Der Verwesungsgeruch kam aus dem
Abfalleimer unter der Spüle, in dem die Essensreste der letzten Wochen und ein
rohes Stück Fleisch vor sich hin moderten. Es fehlten nur noch die Kakerlaken.
Am Ende des lang gestreckten, schmalen Raums befand sich eine Tür. Sie war nur
angelehnt. Draußen führte eine Betontreppe auf ein kleines Rasenstück, das auf
allen Seiten von einer Kirschlorbeerhecke begrenzt war.
»Kommst du bitte, Robert?«, rief Winkler. »Paul hat
etwas gefunden.«
Sie gingen ins Schlafzimmer der kleinen Wohnung. Die
Oberlichter ließen nur wenig Sonnenstrahlen in die Kammer. Kevin lag im Bett.
Sein Oberkörper war halb aufgerichtet und wurde durch ein Kissen gestützt. Die
Hände waren vor dem Bauch gefaltet. Die weit aufgerissenen Augen schienen aus
den Höhlen treten zu wollen, das Gesicht war aufgedunsen und bläulich verfärbt.
Auf den Kopf hatte ihm jemand eine Unterhose gestülpt. Um den Hals verlief ein
hässliches violettfarbenes Band.
»Der Wolf ist tot«, sagte Burkhard.
Mayfeld stöhnte auf. Wieder eine merkwürdig
arrangierte Leiche. Wieder ein Anruf mit Anspielungen auf ein Märchen. Die
Unterhose sah aus wie eine Schlafhaube. Wie die Schlafhaube der Großmutter in
Rotkäppchen. Der Anruf »Der Wolf ist tot« passte auch dazu. Kevin Möller trug
noch seine Straßenkleidung, das passte nicht ganz zu Rotkäppchen. Mayfeld hob
die steifen, gefalteten Hände an. Darunter erkannte er zwei kleine
Verbrennungsmarken. Genauso wie bei Frau Holler.
Die Polizisten holten sich aus ihren Wagen
Schutzanzüge. Mayfeld telefonierte mit Meyer. Der sollte die Kollegen der
Spurensicherung und einen Gerichtsmediziner in den Rotkäppchenweg schicken.
Dann durchsuchten sie das Chaos der Kellerwohnung. Sie entdeckten einige
Pornomagazine unter und neben dem Bett sowie fünf Gramm Cannabis auf dem
Nachttisch.
Im Wohnzimmer fanden sie auf dem Schreibtisch
Ausweispapiere, auf dem Sofa eine Dose mit bunten Pillen, unter dem Haufen
Wäsche ein paar Dutzend CD s von Heavy-Metal-Bands
und eine Musikanlage im Wandregal; in der Küche neben dreckigem Geschirr und
Speiseresten eine Kiste Bier, eine Palette Energydrinks, vier leere und fünf
volle Flaschen Wodka.
Was sie nicht fanden, waren ein Computer, ein Drucker
oder Speichermedien, ebenso wenig ein Telefon oder ein Handy.
»Ich bin mir absolut sicher, dass da gestern ein
Notebook stand«, sagte Mayfeld zu Winkler. »Das wurde genauso geklaut wie das
Handy. Sucht gründlich nach einem Handyvertrag. Wir brauchen seine Handynummer.«
Mayfeld verließ die muffige Wohnung und ging hinaus in
das kalte
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