Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
Sie eine Kopie von dem Brief haben?«, fragte er.
»Ich will
von allem
eine Kopie haben«, erwiderte ich.
Annetjes Geliebter
Annetje hat sich im Wilhelmina-Hospital schon bestens eingelebt, als Vera im Juni 1914 ihren zweiten Sohn Rob bekommt. Annetje bedauert es, dass sie ihrer Schwester nicht beistehen kann, denn die Geburt ist beschwerlich. Vera bleibt wochenlang im Elisabeth-Hospital in Arnheim wegen Komplikationen mit den Nieren. Dann erholt sie sich wieder, Jacobs Fayencenfabrik blüht und gedeiht wie nie zuvor, und nur allzu bald soll das Haus an der Lawick van Pabststraat wie früher Annetjes Arnheimer Zufluchtsort werden.
Aus ihrer Personalakte beim Wilhelmina-Hospital, die ich im Amsterdamer Gemeindearchiv gefunden habe, lässt sich folgendes Szenarium rekonstruieren: Annetje tritt dort im Februar 1914 ihren Dienst an. Alles verläuft nach Plan. Sie leistet ihren Theoriekurs und ihr Praktikum in der Frauenklinik ab. Aber am 30. April 1915 meldet sie sich krank. Einen guten Monat später – am 2. Juni – scheint sie sich wieder berappelt zu haben. Sie schreibt ihrem Direktor, Doktor Kuiper, von Veras Wohnsitz in Arnheim aus:
Sehr geehrter Herr Direktor,
Ihrer Bitte Folge leistend, Sie über den Zustand meiner Gesundheit auf dem Laufenden zu halten, kann ich Ihnen mitteilen, dass ich mich jetzt schon viel besser und munterer fühle und auch an Gewicht zugenommen habe.
Dementsprechend bin ich überzeugt, nach Ablauf der von Ihnen vorgegebenen Zeit wieder vollkommen in der Lage zu sein, meine Arbeit aufzunehmen. Hochachtungsvoll,
Ihre ergebene Schwester A. Beets
Drei Wochen später scheint sich ihr Zustand allerdings plötzlich verschlechtert zu haben.
Arnheim, 23. Juni 1915
Sehr geehrter Herr Direktor,
können Sie mich den Sonnabend zwischen ein und zwei Uhr empfangen? Meine sechs Wochen Urlaub sind jetzt ungefähr um, aber ich glaube nicht, dass es mir möglich sein wird, meine Arbeit jetzt wieder aufzunehmen. Etwa vor 14 Tagen fühlte ich mich durch heftige Menstruationsstörungen wirklich krank, und danach hatte ich ständige Kopfschmerzen. Ich habe nicht den geringsten Appetit, ganz gleich, was dagegen unternommen wird.
So lange wie möglich habe ich damit gewartet, Ihnen das zu berichten, weil ich immer hoffte, dass sich mein Zustand noch bessern würde. Bis jetzt aber leider vergeblich. Selber will ich versuchen, ob es vielleicht nicht doch geht, aber meine Familie wehrt sich sehr hiergegen. Vielleicht können Sie mir in dieser Sache einen Rat geben, ich würde es so schrecklich schade finden, wenn dieses Jahr für mein Wochenpflegerinnen-Diplom verloren wäre.
Hochachtungsvoll,
Ihre ergebene A. Beets
Wieder einige Wochen später, um Mitte Juli, muss Annetje ihrer Oberschwester einen Abschiedsbrief geschrieben haben. Jedenfalls erhält sie folgende Antwort:
Amsterdam, 18. Juli 1915
Liebe Schwester Beets,
danke für Ihren freundlichen Brief. Es tat mir leid, dass wir uns nicht mehr gesehen haben. Doch hoffe ich sehr, noch persönlich von Ihnen Abschied nehmen zu können.
Sehen Sie zu, dass Sie schnell wieder auf den Damm kommen, damit Sie auf jeden Fall vor dem Kreißsaal und Ihrer Prüfung wieder zurück sind. Es wäre schade, wenn Sie das nicht schafften. Wenn Sie wieder ordentlich zu Kräften gekommen sind und Ihnen der Sinn wieder nach Arbeit steht, kommt Ihnen das Diplom bestimmt sehr zustatten.
Also, Mädel, nur Mut, lassen Sie sich nicht allzu sehr niederdrücken, durch Mattigkeit und vielleicht Misère, was weiß ich. Lassen Sie sich nicht hängen, arbeiten Sie sich mit aller Kraft wieder hoch, Sie sind noch so jung.
Vorläufig sage ich Ihnen Ade, seien Sie aber unter allen Umständen wieder hier, um abzuschließen.
Also auf Wiedersehen, fleißig sein und schön für Ihre Gesundheit leben! Seien Sie herzlich gegrüßt, L. M.v/d. Wal
Der Umschlag trägt Annetjes Kommentar aus späteren Jahren :
Von meiner Oberschwester, einer sehr besonderen Frau. Bin krank geworden, überarbeitet. Meine Schwester Vera war wieder meine Zuflucht. Zum Glück kurz vor meiner Prüfung wieder auf dem Posten.
Überarbeitet!
Um das restliche Jahr 1915 in Arnheim zu bleiben, bei Vera – im Januar 1916 ihre Ausbildung fortzusetzen – und im März 1916 doch noch ihr
Ooievaartje
zu machen.
Das ergibt insgesamt acht Monate Versäumnis.
Ein geheimnisvoller, nur halb ausgefüllter Geburtsschein von einem ›Willem‹, nach ihrem Tod in
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