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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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das Kutschhaus gestanden hatte, wo die Diele begonnen hatte und wo der neue Anbau. Zehn Jahre lang lag das Grundstück jetzt brach, seit die Bulldozer es plattgewalzt hatten, und aus dem geplanten Neubau war noch immer nichts geworden.

Dritter Teil

Vosseveld
     
     

Vosseveld
     
    Das Haus war voller Gerüche, Schatten und Verstecke.
    Oben im Flur stand die Singer-Tretnähmaschine, die sich Annetje im Jahr 1909 zusammengespart hatte und auf der sie zuerst ihre eigenen und später unsere Krankenschwesternschürzen genäht hatte. Dort stand auch der Sekretär, in dem sie die Briefe aufbewahrte, die ich mittlerweile bis zum Überdruss studiert hatte, und das Fotoalbum, das ich schon beinahe zerfleddert hatte.
    Das Loch unter der Treppe, hinter dem japanischen Ziehharmonikaschirm, war unser Lieblingsversteck, zwischen alten Koffern und aufgerollten Stücken Linoleum. Hinter der Treppe der mannshohe Spiegel, in dem man sich, wenn man aus der Küche trat, immer herankommen sah; und jedes Mal diese Schrecksekunde. Die Tür zum Keller, aus dem uns immer der dicke, feuchte Geruch von Kartoffeln, Butter, Äpfeln und Mehl entgegenschlug. Rechts war die Tür zum WC, wo sich meine Schwester Lieske nie alleine reintraute.
    Der Erker, wo es spukte. Lieske hatte dort einen Mann gesehen.
    »Was für einen Mann?«
    »Ein Mann, der nicht will, dass wir hier wohnen.«
    War es derselbe Mann, der einmal am Zaun entlanggelaufen war, kehrtgemacht und dann minutenlang zu uns hereingestarrt hatte? Ich sehe Oma Annetje noch im Erker stehen,bewegungslos, den Atem anhaltend; ihre Erleichterung, als der Mann endlich weiterging.
    Im Schlafzimmer von Oma Annetje und Großvater waren die Hohlräume, die sich zu beiden Seiten zwischen Dachschräge und Zimmerwänden ergaben, als Schränke genutzt worden. Der eine war ein Kleiderschrank, die Tür des anderen wurde durch das Doppelbett blockiert. Der obere Teil der Tür war durch eine von Großvaters Waldansichten getarnt. Man konnte also nicht in den Schrank – außer über den geheimen Eingang, die Luke im Badezimmer, hinter dem Wäschekorb.
    Einmal musste Oma Annetje dort etwas suchen. Lieske und ich waren hinter ihr her durch die Luke gekrochen und leuchteten uns mit ihrer Dynamotaschenlampe. Was für ein Schreck, als plötzlich aus der Dunkelheit unter dem schrägen Dach eine Gestalt auftauchte – ein großer schwarzer Mann.
    Oma Annetje gewann als Erste ihre Kaltblütigkeit zurück. »Du da«, sagte sie und gab dem Mann eine Ohrfeige, so dass er einknickte und zusammenfiel und leicht hin und her schaukelte, als ob er den Kopf schüttelte.
    Es war Großvaters Frack, der an einem Bügel an einem Nagel hing.
    Darunter stand Schuhwerk, gefüllt mit hölzernen Spannern: schwarze Stiefel, glänzende schwarze Lackschuhe, altmodische Bergstiefel, sogar riesige Turnschuhe. Und ein Kabinenkoffer. Was befand sich darin? Jetzt wollten wir auch alles wissen.
    Oma Annetje rüttelte an dem Schloss. Der schwere Deckel ging auf – und was lag da? Ein Schwert, ein Helm, ein Ritterkostüm. Wir waren in einem Märchen gelandet.
    Oma Annetje erklärte es uns. Sie erzählte von Großvaters Konzertreisen; einmal hatte er in Deutschland ein Engagement als Gurnemanz im
Parsifal
. Weil man dort kein Kostüm in Großvaters Größe vorrätig hatte, musste er sein eigenesmaßgeschneidertes Kostüm mitbringen. »An der Grenze musste er die Koffer aufmachen. Als der Zollbeamte den Helm und das Schwert sah, hat er gleich Haltung angenommen.«
    Es folgte die uns weidlich bekannte Geschichte von Onkel Rob und Onkel Piet, die sich hier während des Krieges versteckt hatten, als sie von den Deutschen für den Arbeitsdienst gesucht wurden. Oma Annetje hatte noch eine Fortsetzung auf Lager.
    »Einmal kamen zwei«, erzählte sie. »Großvater war gerade nicht zu Hause. Der wäre mit denen schon fertig geworden. Der hätte sie mit seinem tiefen Bass angeblafft: ›
Schert euch fort! Was machen Sie hier! Blitz und Donner!‹ «
    »Und dann?«
    »Ich war allein. Sie hatten Gewehre«, brachte Oma Annetje mit unvergleichlichem Gefühl für Timing hervor. »Ich musste sie schon hereinlassen. Sie sind nach oben gegangen. Dann hat einer der Soldaten mit seinem Gewehr an die Wand geklopft.«
    Sie machte es mit Großvaters Wanderstock nach.
    »Hört ihr? Hohl.«
    »Und dann?«
    Oma Annetje blickte flehend, mit erhobenen Händen, zum imaginären anderen Soldaten hoch und flüsterte: »
Mein Sohn.«
    »Und haben sie das geglaubt?!«
    »Und

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