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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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geht einem nicht alles so durch den Kopf, nach so einem Sterben, nicht wahr? Vater hat uns doch so viel Gutes beschert, das vergisst man ja nie. Dass seine letzten Jahre so ganz anders waren, dafür konnte er schließlich nichts. Und zu sagen, wär’s doch endlich vorbei, das ist ein hässlicher Gedanke   …
    (7.   September 1953)
     
    Wo es Oma Annetje gelungen war, Lepel und Onkel Henk, die alten Braakensieks, Tante Cora und natürlich den alten Oud vor ihren Karren zu spannen, hatte sie mit den
Indiërs
doch einen erheblich schwereren Stand. Das sah man auch den Fotos an, die während ihres ersten Urlaubs nach dem Krieg gemacht worden waren, im Jahr 1946.   Es war ihre erste Begegnung mit ›Vaters Haus‹, wie es Tante Rita hartnäckig nannte, aber auch mit der dritten Frau ihres Vaters. Die Gesellschaft steht unbehaglich da. Annetje hat das Gesicht abgewandtund zupft an ihrer Strickjacke. An den Mienen der
Indiërs
ist abzulesen, wie erschrocken sie sind von dem Anblick, den ihr Vater bietet, nach seiner schrecklichen Krankheit.
    Im November schreibt Tante Rita:
     
    Tja, das war doch unangenehm, nicht Henk, die Frage mit dem Testament. Wir haben aus Deinen Briefen schon gespürt, dass alles nicht gerade nett verlaufen ist, und dann kommt ein Moment, wo es einem zu viel wird. Die Beetsen sind nun einmal Leute, die in den meisten Hinsichten nicht auf unserer Linie liegen! Und das Über-Sentimentale bringt bei Menschen wie uns doch nur Widerwille hervor. Schade ist, dass das alles nicht nötig gewesen wäre, wenn der Notar diesen Fehler nicht begangen hätte; aber daran lässt sich jetzt nichts mehr ändern. Dass Cora auch darüber gestolpert ist, ist für Ann also schon ein Hinweis, dass das nicht in Ordnung war, und das spürt sie auch selber. Lepels Brief war aufgeregt, aber eben so wie er immer ist, übertrieben pathetisch!
     
    In diesen Briefen steht einiges über das Hickhack um Vosseveld nach Großvaters Tod. ›Ann‹ hatte alles geerbt, das Haus gehörte ihr; damit hatten die
Indiërs
sich abgefunden. Aber als es so aussah, als ob ›Ann‹ das Haus nicht allein unterhalten konnte und trotzdem nicht raus wollte, sondern auch noch Hilfe von ihnen erwartete, war das Maß voll. Im Dezember 1953 schrieb Tante Rita:
     
    Die allerbesten Wünsche zum Jahreswechsel und hoffentlich nicht so viel Hickhack mehr mit Ann und Konsorten. Was stellt die sich an, ich kapier das nicht mehr! Sollte sie etwa von uns allen prompt ein Monatsgeld erwartet haben? Das wäre doch zu absurd gewesen, mit eigenem Kapital. Sie ist wirklich sehr misstrauisch geworden, was doch sehr ärgerlich ist.
     
    Dazu kam der Zwist zwischen Oma Annetje einerseits und meinen Eltern andererseits: Mary und Lepel, die vergeblich auf geräumigere Behausung hofften. Seit Jaapjes Geburt platze unsere kleine Reihenhauswohnung aus allen Nähten, so hörten wir meine Mutter klagen.
    Gerade in dieser Zeit, an einem Sonntag im Februar 1954, erlitt ich einen hässlichen Sturz auf der Treppe. Ich musste über eine der ewig losen Teppichstangen gestolpert sein und kullerte bis auf die Fliesen der Diele hinunter. Oma Annetje trug mich zum Diwan. Mein Bein wurde fachkundig betastet, und Doktor Veldkamp, eilends von gegenüber herbeigerufen, bestätigte Oma Annetjes Diagnose: gebrochen. Angesichts dessen, dass ein pflegebedürftiges Kind das Letzte war, was meine Eltern noch gebrauchen konnten, durfte ich die vollen sechs Wochen meiner Genesung auf Vosseveld bleiben.
    Wie schwer es Oma Annetje in dieser Zeit auch gehabt haben mochte, für mich war es eine goldene Zeit. Noch nie waren wir uns so nahe gewesen. Ich schlief auf Großvaters Seite in dem großen Doppelbett. Oma Annetje saß bis spät in die Nacht an ihren Kreuzworträtseln und war, wenn der Tag anbrach, immer schon wach. Sie saß aufrecht in den Kissen, mit ihrem alten, mit Pflastern zuammengeflickten Van-Dale-Wörterbuch auf den Knien und der Lesebrille auf der Nase. Die Balkontür stand offen. Die Amseln sangen, der Hahn des Nachbarn krähte, die Holztaube rief ihr Klagelied, auf das Großvater die Worte gedichtet hatte: »Der Ruhkumm ruht nicht! Der Ruhkumm ruht nicht! Der   …!«
    Auch das Radio war an – war es eigentlich aus gewesen in der Nacht? – und brachte gerade Nachrichten. Es ging um den Kongo und Kasawubu. Danach folgten Wetter und Wasserstände.
    »Was für ein Luder«, schimpfte Annetje. Sie zählte Kästchen, schmeckte Worte auf der Zunge, biss auf ihren

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