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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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esse gefüllte Teilchen. Über meinem Kopf wird eifrig geflogen, aber ansonsten ist es hier so ruhig wie nur was. Keine Nachbarn. Kein Verkehr. Nur Vögel. Und wieder habe ich sehr stark das Gefühl, dass wir zwei hier wohnen werden.
    ... 8   Uhr. Ich kann beinahe nichts mehr sehen, und es gibt natürlich noch keine Verdunkelung. Ich liege also schon im Bett, direkt vor der Veranda, und draußen pladdert der Regen. Der Umzugswagen ist gekommen, ich habe schon 10   Kisten ausgepackt. Dies ist erst die Hälfte, und das Haus steht schon voll. Heute wurde das Kutschhaus gestrichen und der Boden gebeizt. Liebes Mädchen, es ist so verrückt, aber es fühlt sich an, als ob alles, was ich auspacke, von uns ist und als ob ich unser Haus einrichtete. Draußen singt die Amsel, und schwarz türmen sich die Kiefernsilhouetten gegen das immer fahler werdende Licht...
    ...Jetzt, da der Billardtisch aufgebaut ist, scheint das Vorderzimmer doch viel größer zu sein, als ich dachte. Er wirkt wie ein normaler Tisch! Der Flügel kommt mit der zweiten Fuhre. Der wird vorläufig in die Diele kommen. Zwei Bücherschränke von Ann habe ich gestern gefüllt, einen im Vorderzimmer und einen im Gästezimmer. Die Diele hat jetzt eine echt altholländische Ausstrahlung, mit den Kacheln, dem antiken Schrank und dem Kronleuchter. Das Linoleum kam erst Freitagabend, so dass ichgestern die Leute schrecklich antreiben musste, denn es musste noch während des Umzugs gelegt werden.
    ... Gestern war hier im Dorf ein Reiterfest. Für diese Gelegenheit hatten die Bewohner die Verkehrsschilder umgedreht, so dass alle Autos Richtung Amsterdam nach Utrecht fuhren usw. Jetzt hat die Gemeinde eine Strafe aufgebrummt bekommen. Alle männlichen Einwohner müssen bei den Richtungsschildern Wache stehen, 2 x 24   Stunden lang. Mich wollten sie auch haben, aber zum Glück wohne ich offiziell noch in Zandvoort. Wenn ich in dieser Kälte auch noch hätte draußen stehen müssen, wäre das recht dumm gewesen   ...
    ... Zum ersten Mal sitze ich in meinem Kutschhaus und schreibe. Nach einer schrecklich kalten Nacht bin ich zum Schmied geeilt und habe meinen Ofen setzen lassen. Der steht in einer Ecke und brennt jetzt schön. Mein Bett habe ich auch erst mal hier aufgebaut, so dass ich heute Nacht ›zu Hause‹ schlafe   … schade, dass ich morgen zurück nach Zandvoort muss für die zweite Fuhre. Am liebsten würde ich gleich hierbleiben.
    ... Freitag, 28.   März! Hurra, es ist so weit! Gestern Morgen bin ich mit dem zweiten Umzugswagen mitgefahren. Ein Schneckentempo, das Ding hat so gezittert, dass mir die Zähne von hinten nach vorne geholpert sind. Jetzt hocken wir hier in einem unbeschreiblichen Chaos, aber gesund und wohl, und Ann und Vater sind so begeistert von dem Haus! Allerdings fiel Ann gleich am ersten Tag eine Marmorplatte auf den Fuß, und jetzt humpelt sie herum und krümmt sich vor Schmerz, die Ärmste!
    Zandvoort war diese letzten Tage in einen düsteren Dunst gehüllt. Ohne das geringste Bedauern nahm ich Abschied von dem Haus. Ach Mädchen, was sind wir glücklich. Endlich in Vosseveld. Nur 54   km von Arnheim! Die Vögel jubilieren im Garten, und überall schießt das Laub aus den Knospen. Schade, dass das Wetter so schlecht ist, der Anstreicher kommt mit dem Außenanstrich nicht voran, du siehst es also noch nicht in vollendetem Zustand.
    … Der erste Sonntag auf Vosseveld, und die Sonne scheint jetzt auch. Wir haben alle drei das herrlich ruhige Gefühl, dass wir jetzt für immer hierbleiben werden. Dass Krieg ist, vergisst man hier völlig. Mit Anns Fuß geht es zum Glück viel besser, zumindest kann sie wieder recht gut laufen. Vater döst ein bisschen auf dem Sofa im Vorderzimmer. Ann schält Kartoffeln vor dem Kamin in der Diele, und ich sitze vor meinem Ofen   …
     
    Hier hörten Lepels Briefe auf. Der letzte war vom 30.   März 1941, kurz bevor sich die ersten Katastrophen ankündigten, auf die ich so neugierig war.
    Die Briefe aus den folgenden Jahren hatte es aber gegeben. Ich hatte sie selber gesehen, an Marys Sterbebett. Außerdem gingen Marys Briefe durch bis Juli 1943 – als sie und Lepel, mitten im Krieg und nach jener geheimnisvollen Periode der Unsicherheit, doch noch geheiratet hatten.
    Lepel musste damals seinen Anteil an der Korrespondenz aus der Schachtel herausgenommen haben, an dem Tag, als ich sie von meiner Mutter holte. Aber warum hatte er das getan?
     
    Zum Glück war da noch der Ordner von Onkel Henk.

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