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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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fahren, der für Kathi unerreichbar war. Ich nahm mir vor, es ihr so bald wie möglich zu beichten, ich wollte vor ihr keineGeheimnisse haben. Gegen sechs waren wir wieder zu Hause, wir wollten noch ein Glas Wein trinken.
8.
    In der Küche goss ich Wein in zwei Gläser und brachte sie in das Wohnzimmer. Kathi hatte eine Bluesplatte aufgelegt und tanzte vor dem Kamin, die Schuhe hatte sie ausgezogen. Sie kam auf mich zugetanzt, nahm mir ein Glas aus der Hand, trank einen großen Schluck und stellte es auf den Kaminsims, um sich weiter zu drehen. Sie wollte, dass ich mit ihr tanze, aber ich lehnte ab und setzte mich in einen Sessel. Kathi riss das Tuch von der alten Bauerntruhe und führte eine Art Schleiertanz auf, eine Mischung aus Orient und Spanien, die überhaupt nicht zu der Musik passte. Sie verhüllte ihr Gesicht, so dass nur noch ihre Augen zu sehen waren, oder verschwand völlig unter der Tischdecke. Dann band sie das Tuch um die Hüfte und stampfte heftig und schnell mit den Füßen auf, als tanze sie einen Fandango bei einer Corrida. Ich hielt mir den Bauch vor Lachen, doch Kathi verzog keine Miene und gab erst auf, als sie völlig atemlos war. Erschöpft ließ sie sich auf das Sofa fallen. Ich holte ein Selters für sie und bot ihr an, Essen zu machen, doch sie wollte sich nur noch erholen, das Wasser und den Wein trinken und sich dann auf ihr Fahrrad setzen.
    Wir standen bereits im Flur, da musste ich noch den Blouson aus dem Wohnzimmer holen, den sie vor ihrem Tanz ausgezogen hatte. Ich half ihr beim Anziehen, schloss die drei Knöpfe und küsste sie zum Abschied auf den Mund. Kathi sah mich überrascht an, für Sekunden rührte sich keine von uns. Dann glitt ein Lächeln über ihr Gesicht, fast schamhaft, für einen kurzen Moment.Danach sah sie mir wieder ernst und forschend in die Augen. Fürsorglich legte sie eine Hand auf meine Schulter und zog mich zu sich. Und dann küssten wir uns. Küssten uns zum ersten Mal wirklich. Und ich war es, die dann sagte: »Komm. Komm mit mir.«
    Es war schön mit Kathi im Bett. Wir waren vertraut miteinander, wir kannten uns seit der Kindheit, im Grunde lebenslang. Seit wir denken konnten, wussten wir alles voneinander, jedes Geheimnis, jede Neigung, jedes Gefühl und natürlich jede Affäre. Wir lagen nebeneinander, ohne uns zu berühren, sogar ohne uns zu bewegen. Keine sagte ein Wort, wir lächelten uns unbeholfen an, ich war so verlegen, dass ich den Kopf abwandte und die Augen schloss. Plötzlich begann Kathi laut zu lachen, sie lachte so herzlich, dass ich mich zu ihr drehte und in ihr Lachen hineingezogen wurde. Wir lachten Tränen und hätten wohl beide nicht sagen können, weshalb wir lachten. Wir lachten über uns, darüber, dass wir nackt zusammen im Bett liegen, dass wir vor Verklemmung uns kaum zu rühren wagten.
    Es war schön mit Kathi. Wunderschön. Und es war anders als alles, was ich zuvor erlebt hatte. Es war anders, weil wir intim miteinander waren, bevor wir intim wurden. Und weil aus dieser Kenntnis ein ganz anderes Beisammensein möglich war.
    Gegen acht Uhr rief Waldschmidt an, damit ich ihn abhole. Ich sollte mit dem Klappfahrrad zu seinem Freund Oltenhoff kommen, um ihn dann mit seinem Auto zurückzufahren. Er hatte getrunken, ich hatte es sofort bemerkt, als er sich meldete und meinen Namen sagte. Ich versprach, so rasch wie möglich zu kommen.
    »Lass dir Zeit, Mädchen«, sagte er, »nur nichts überstürzen.«
    Ich hatte den Anruf im Schlafzimmerentgegengenommen, so dass Kathi das Gespräch mithören konnte. Sie schlug die Bettdecke zurück und stand auf, um sich zu waschen und anzuziehen.
    »Willst du schon gehen?«, fragte ich.
    »Du musst deinen Freddy abholen.«
    Ich lachte und wiederholte Waldschmidts Worte: »Lass dir Zeit, Mädchen, nur nichts überstürzen.«
    Ich erschien bei Bernd Oltenhoff kurz nach zehn. Die beiden Männer redeten lautstark miteinander, sie nahmen sich kaum die Zeit, mich zu begrüßen. Dass ich so spät eintraf, bemerkten sie gar nicht, ich hätte mit Kathi noch eine weitere Stunde zusammenbleiben können. Als Waldschmidt sich endlich verabschiedete, um sich von mir nach Hause fahren zu lassen, schwankte er so stark, dass ich ihn stützen musste. Bernd und ich halfen ihm in den Mantel, Waldschmidt drehte sich zu mir, einen Arm im Ärmel, er streichelte meine Wange und erkundigte sich, ob ich mich mit meiner Freundin gut amüsiert habe.
    »Sie ist ein nettes Mädchen«, sagte er. »Wieso hat sie uns noch nie

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