Frau Paula Trousseau
besucht? Du musst deine schönen Freundinnen nicht vor mir verstecken. Lade sie wieder ein, ich will sie kennenlernen.«
»Ist schon gut, Freddy. Komm endlich, es ist spät.«
»Wie heißt sie, deine Freundin? Kathrin, nicht wahr? Sie ist ein bildschönes Mädchen, frag sie, ob sie für mich Modell sitzt.«
Im Auto nickte er ein, sobald er auf dem Beifahrersessel saß. Ich klappte das Fahrrad zusammen und packte es in den Kofferraum. Dabei musste ich Bernd Oltenhoff abwehren, der mir helfen wollte, doch betrunken, wie er war, mich bei dem Versuch, das sperrige Fahrrad zu verstauen, fast zu Boden riss.
9.
In den Tagen, bevor wir nach Split flogen, saß ich stundenlang an meinem weißen Bild. Ich wollte es vor dem Urlaub zu Ende bringen oder jedenfalls vorläufig abschließen, so dass ich nach der Rückkehr nur noch an Details zu arbeiten hätte und an den Korrekturen. Anderenfalls würde ich am Strand immer nur an das Bild denken und mich ärgern, nicht vor der Staffelei geblieben zu sein. Zweimal, manchmal auch dreimal in der Woche kam Marion Niebert, um mit mir Klavier zu üben. Sie war mit mir zufrieden.
Zwei Tage vor dem Flug fuhr ich mit Waldschmidt in die Stadt, um für den Urlaub einzukaufen. Wir brauchten Badesachen und Sommerbekleidung, und wir kauften kleine Geschenke auf Verdacht, das hatte uns Sibylle geraten.
Daheim packte ich unsere Koffer und ging dann für Stunden ins Atelier. Ich wusste, ich hatte es geschafft. Das Bild war noch nicht vollendet, es war nicht fertig, aber mein weißes Bild existierte in der Welt. Es war vollkommen monochrom. Erst bei einem längeren und intensiven Hinschauen wurde der Rand einer Waldlichtung erkennbar, ließ sich ein spurenloser Weg entdecken, konnte man die beiden Parkbänke identifizieren. Das große Bild war eine Winterlandschaft, ein Stillleben, in dem es nur eine einzige Farbe gab und winzige, kaum auffällige Schatten, die auf das vermutlich unter dem Schnee Verschwundene hinwiesen. Alles war nur erahnbar, es war eine scheinbar hingehauchte Landschaft. Wer lange hinsah, konnte die gesamte verborgene Landschaft aufspüren, die grünen Bäume sehen, die morschen Parkbänke, den zerfurchten Waldweg. Ich konnte sie sofort sehen, weil ich diese Lichtung schon so oft gemalt hatte, aber ich nahm sie auch wahr, weil sie auf diesem Bild vorhanden waren, sie warenlediglich verdeckt, verhüllt von einem alles umfassenden Weiß. Die Schatten, die verschiedenen Schattierungen, die das Weiß strukturierten, verrieten auch jedem länger auf meinem Bild ruhenden Blick die nicht sichtbare, verborgene Landschaft, eine Welt hinter der Welt. Ich war davon überzeugt, dass man meine Sommerbilder jener Waldlichtung nicht kennen musste, um auf dem Winterbild den Wald, die Wiese und den Weg unter dem Schnee erkennen zu können. Wenn man bereit war, sich auf mein Bild einzulassen, es zu betrachten, wurde, da war ich mir sicher, die verhüllte Landschaft sichtbar.
Ich wollte noch ein paar Lichter setzen, einige aufhellende Farbeffekte, die dem Weiß mehr Spannung geben sollten, aber alles Wesentliche war geschafft. Die Schatten waren deutlich und verblieben dennoch im monochromen Weiß, waren sichtbar und gaben dem Bild Struktur, ohne die farbliche Geschlossenheit, die gelassene Zurückhaltung zu brechen, ganz so, wie ich es erhofft hatte. Vorsichtig befestigte ich die Abdeckung über der Staffelei, damit das Tuch nicht die Leinwand mit den noch immer feuchten Farben berührte. Ich war zufrieden und konnte beruhigt in den Urlaub fahren. Waldschmidt würde mein Bild erst zu sehen bekommen, wenn ich wirklich den letzten Strich getan hatte.
In Split hatte ich mir ein Fahrrad ausgeliehen und erkundete die Strände in der Nähe. Zwei Stunden am Morgen und zwei Stunden am späten Nachmittag war ich am Wasser, sonnte mich, las und schwamm viel. Zwischendurch schaute ich mir auf dem Fahrrad die Dörfer an und fotografierte. Manchmal aß ich in einem der Dörfer zu Mittag und wurde angestarrt, weil ich mich als Frau ganz allein in eine Gaststätte setzte. Mir gefielen die Menschen. Es waren Leute vom Land, ihre Gesichter, ihre Hände, ihreBewegungen waren bäuerisch. Ich hätte gern Skizzen gemacht, aber das wagte ich nicht, ich fürchtete, dies würde als Belästigung empfunden, die man mit Zudringlichkeiten beantworten würde. Irgendwann fiel mir auf, dass ich nur junge Menschen sah, schöne Mädchen und sehr selbstbewusste junge Männer, und alte Leute, als würde es keine Bauern im
Weitere Kostenlose Bücher