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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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gewesen wie immer, aber als sie die Villa sah, bekam sie große Augen und wurde einsilbig.
    »Das gehört mir nicht«, sagte ich, als sie staunend in der Halle stand, die wir als Wohnzimmer nutzten, »das gehört alles meinem Waldschmidt. In diesem Raum ist nichts von mir, gar nichts, gerade mal dieses Kissen stammt von mir, und Waldschmidt findet, es passe nicht hierher. Es stört die Ästhetik des Raums, sagt er. Ich bin hier nur ein Untermieter.«
    »Da kann ich dir nur gratulieren. Eine schöne Wohnung für einen Untermieter. So etwas Feines suche ich auch. Falls du mal was hörst, gib mir Bescheid. Und wie teuer ist das hier? Ich vermute, es ist alles sehr preiswert, oder?«
    »Preiswert? Ich weiß nicht. Nach meinen Erfahrungen gibt es nichts umsonst. Vielleicht zahle ich viel zu viel, Kathi, ich weiß es noch nicht.«
    »Umsonst gibt es nichts, da hast du Recht. Stellst du mir dein neues Wunderexemplar vor? Oder ist er gar nicht daheim?«
    »Er ist in der Hochschule oder beim Magistrat. Jedenfalls ist er nicht da, und ich weiß nicht, wann er zurückkommt.«
    »Wie alt ist dein Schatz? Vermutlich ein bisschen älter als du. Ein bisschen sehr viel älter, oder?«
    »Achtundfünfzig.«
    »Oh Gott! Er ist ja älter als dein Vater. Hast du ein Papa-Syndrom, Paula? Das sieht dir aber gar nicht ähnlich.«
    »Nein, habe ich nicht. Er liebt mich, und ich habe ihn gern. Irgendwann hatte ich das Alleinsein satt.«
    »Man kann auch mit einem jungen Mann zusammenleben. Oder gleichzeitig und nicht ganz so eng mit mehreren Typen.«
    »Ich bin nicht wie du. Vielleicht bin ich bürgerlich. Eine kleinbürgerliche Ziege, die eine feste Beziehung braucht.«
    »Dass ich nicht lache!«
    »Möglicherweise bin ich nur die Tochter meiner Eltern und werde genauso wie sie.«
    »Guck dich im Spiegel an, meine Hübsche, das kannst du vergessen. Wer so ausschaut wie du, landet nicht in einem Reihenhäuschen. Und bei den Zeichnungen und Bildern, die ich von dir gesehen habe, da wirst du einmal ganz groß. Oder du verhungerst wie die Künstler früher, die keiner verstanden hat.«
    »Hör auf, Kathi!«
    »Aber warum so ein Alter? Ist das nicht eklig? Der mussdoch eine ganz alte Haut haben, mit Falten und Warzen. Hat er einen Bauch?«
    »Er sieht gut aus. Er sieht sogar sehr gut aus.«
    »Du hast doch ein Papa-Syndrom. Ein Achtundfünfzigjähriger kann einfach nicht gut aussehen, das ist ausgeschlossen. Achtundfünfzig, das ist uralt. Guckst du jeden Morgen nach, ob er noch atmet?«
    »Freddy sieht gut aus und er ist gut beieinander. Er hält sich fit, er boxt sogar.«
    »Freddy! Heißt er Freddy? So hießen daheim die Hunde oder die Pferde. Sag bloß, er heißt wirklich Freddy?«
    »Er heißt Fred. Hör endlich auf, Kathi. Ich lebe mit ihm zusammen, wenigstens das solltest du ernst nehmen.«
    »Ernst nehmen? Das kann ich nicht ernst nehmen, und zwar deinetwegen, weil ich dich mag. Du machst dich doch mit dem Kerl unglücklich. Willst du deine Jugend an seiner Seite verpassen? Wenn du selbst alt bist, kannst du dir einen Alten nehmen, aber doch nicht mit vierundzwanzig.«
    »Und wenn ich ihn liebe? Was dann?«
    »Glaube ich nicht. Das glaube ich dir einfach nicht. Du hast gesagt, du hast ihn gern. Gern hatte ich meinen Kanarienvogel, aber den liebte ich doch nicht.«
    »Können wir über etwas anderes reden?«
    »Du hast anscheinend keine Ahnung, was Liebe ist. Vielleicht weißt du es wirklich nicht. Auf dieser Welt ist alles möglich. Ich kenne eine Frau, die ist seit fünfunddreißig Jahren verheiratet, aber die weiß nicht, was ein Orgasmus ist. Kannst du dir das vorstellen?«
    »Warum bist du gekommen? Willst du mich beleidigen?«
    »Du hast mich eingeladen. Schon vergessen?«
    »Können wir bitte das Thema wechseln?«
    »Einverstanden. Das ist ja ein prächtiger Flügel. Ist dasein Bechstein? Oh, ein Erard, Donnerwetter, noch feiner. Wer spielt denn hier? Dieser Freddy?«
    »Bitte, Kathi!«
    »Was habe ich denn gesagt? Ich wollte nur wissen, wer sich an diesen wundervollen Flügel setzt.«
    »Ich spiele. Oder vielmehr, ich lerne es gerade.«
    »Dann zeige mir mal, was du kannst. Spiel ein paar Etüden oder was du draufhast.«
    »Nein, das werde ich nicht. Möchtest du einen Kaffee oder einen Tee? Und setz dich endlich.«
    »Ich komm mit in die Küche. Die will ich auch sehen. Was macht dein Studium?«
    »Ich habe noch ein Jahr.«
    »Und dann?«
    »Weiß ich nicht. Vielleicht bekomme ich ein Stipendium. Oder es droht die freie Wildbahn.

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