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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Alter zwischen dreißig und fünfzig geben. Es dauerte einige Zeit, bis ich begriff, dass die Leute schnell altern. Die schwere Arbeit grub Falten in die Haut, prägte die Hände und Gesichter und ließ die jungen Mädchen übergangslos wie Großmütter aussehen und die jungen Männer wie altehrwürdige Familienoberhäupter. Wie vor hundert Jahren hatten diese Menschen nur eine kurze Jugend und schienen unvermittelt alt zu werden. Ihre Körper wurden schwer, ihre Bewegungen langsamer und schienen Mühe zu bereiten, sie wirkten abgearbeitet, obwohl sie kräftig waren und zupacken konnten. Ihre Augen strahlten Ruhe aus. Das Leben, schien mir, hatte sie knochenhart und rücksichtslos gemacht, aber sie wussten, was zu tun war, bei ihnen gab es nichts Überflüssiges, keine nutzlose Bewegung, kein unnötiges Wort, es war eine beeindruckende Mischung von Energie und Bedächtigkeit.
    Mir gefielen die Bauern, ich konnte sie stundenlang betrachten. Ich sprach mit Waldschmidt darüber, auch ihm waren sie aufgefallen. Sie sind wie meine Großeltern, sagte er, eine verschwundene Zeit. Er machte mich darauf aufmerksam, dass die Älteren ihre Augen nur noch einen Schlitz weit öffneten, so dass man ihre Augäpfel kaum sehen und nicht einmal ahnen könne, welche Farbe sie haben. Das komme von der Sonne, meinte Waldschmidt, der Körper passe sich an und schütze sich, im Norden von Finnland und Schweden würden die Menschen vermutlich weit geöffnete Augen haben.
    Er erzählte mir jeden Tag dreimal, dass ihn der Ort anItalien erinnere, und sprach dann über die italienischen Städte, die er kannte. Den Tag über saß er in der Altstadt, trank Wein, skizzierte Passanten und pittoreske Ecken der Stadt und unterhielt sich mit Zufallsbekanntschaften, mit Touristen aus Westeuropa, viele kamen aus Österreich. Ganz Split sei voll mit Wienern, sagte er. In den drei Wochen schwamm er nicht ein einziges Mal in der Adria.
    Mit der Fähre fuhren wir für jeweils einen Tag nach Brač und Hvar, zwei benachbarten Inseln, das waren die beiden einzigen Tage, an denen ich während des Urlaubs mit Waldschmidt von morgens bis abends zusammen war. So schön und zauberhaft dieser Urlaub war, und für mich war jeder Tag wunderbar, da ich nie geglaubt hatte, je die Adria zu sehen, ich denke, wir waren beide erleichtert, als wir diese Inselbesuche hinter uns hatten und wieder jeder für sich seine Zeit verbringen konnte.
10.
    Vier Tage nach der Rückkehr begann das Semester, mein letztes Studienjahr, und zwei Wochen später machte ich den letzten Pinselstrich an dem weißen Bild, ging in die Küche, holte mir einen Weißwein und setzte mich dann eine Stunde lang davor. Ich hatte eine Brahmsplatte aufgelegt und feierte meinen Sieg ganz allein. Das Bild war so geworden, wie ich es mir erträumt hatte. Es war das erste meiner Bilder, mit dem ich restlos zufrieden war, bei dem ich stolz auf meine Arbeit war.
    Ich wusste, dass mein Bild Waldschmidt nicht gefallen würde, mir war klar, dass man an der Schule den Kopf schütteln würde oder entsetzt wäre. Vielleicht würde mein Bild als dekadent eingeschätzt werden und ich müsste Erklärungen abgeben und mich entschuldigen. ZurAusstellung im Marstall würde man es nicht einreichen, eher würde man mich auf Grund dieser Arbeit von der Liste streichen, so dass auch die ausgewählte Landschaft dort nicht gehängt werden würde. Ich wusste genau, was passieren konnte, aber es war mir gleichgültig. Ich hatte erreicht, was ich erreichen wollte. Ich war zufrieden und ich war stolz, sehr stolz. Vielleicht war die Stunde, die ich mit dem Weinglas vor meinem fertigen Bild saß, die glücklichste meines Lebens.
    Zwei Stunden später war dieses Glück vorbei, und ich saß heulend in meinem Zimmer.
    Waldschmidt war gegen sieben Uhr nach Hause gekommen, ich hatte das Abendbrot gemacht und bemühte mich, unbefangen zu sein. Ich wollte ihm von meinem fertigen Bild erzählen, wusste aber nicht, wie ich es anstellen sollte. Ich hatte Angst, es ihm zu zeigen. Beim Essen fragte er mich, was mit mir los sei. Als ich den Kopf schüttelte und sagte, es sei alles in Ordnung, lächelte er gönnerhaft.
    »Erzähle mir nichts, Paula. Was hast du? Hast du dir ein paar tolle Schuhe gekauft? Ich merk doch, du hast irgendeine Überraschung für mich.«
    »Das Bild ist fertig«, sagte ich. Ich sagte es rasch, ich befürchtete, meine Stimme könnte zittern, weil ich so aufgeregt war.
    »Ach so«, erwiderte er. Dann drückte er mit dem Finger

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