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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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auf den Ziegenkäse. »Der ist völlig ausgetrocknet«, sagte er, »den darfst du nicht in den Kühlschrank stellen. Käse gehört nicht in den Kühlschrank, das begreifen die Deutschen nicht.«
    Ich sah ihn fassungslos an, aber er aß ungerührt weiter und verlor kein Wort über das Bild. Erst nachdem wir uns die Abendnachrichten im Fernsehen angesehen hatten, forderte er mich auf, ihm meine Arbeit zu zeigen.
    »Willst du es wirklich sehen?«, fragte ich sarkastisch.
    »Gewiss. Ich muss sogar. Ich bin nämlich auch dein Lehrer, das wollen wir nicht vergessen.«
    »Dann schau es dir in der Schule an. In dem Haus hier bist du nicht mein Lehrer.«
    »Reg dich ab, Paula. Ich will dein Bild selbstverständlich anschauen. Du hast monatelang daran gesessen, und ich will sehen, was du geschafft hast.«
    »Es wird dir nicht gefallen, Freddy.«
    »Das kann passieren. Wenn es nichts taugt, werde ich es dir sagen. Aber das wäre kein Beinbruch. Kunst gelingt nicht immer, da muss man lange, lange üben.«
    »Es wird dir nicht gefallen, weil du gar nicht willst, dass es dir gefällt. Du hast es ja schon abgelehnt, bevor ich den ersten Pinselstrich machte.«
    »Ich finde die Idee hirnrissig, das habe ich gesagt. Aber vielleicht kannst du mich überzeugen. Also komm, zeig es mir.«
    Ich ging mit ihm in mein Atelier und blieb an der Tür stehen. Er stellte sich vor das Bild und verzog beim allerersten Blick verächtlich den Mund. Er blieb eine Minute davor stehen, ohne etwas zu sagen. Dann wandte er den Kopf zu mir, sah mich lange an und sagte sehr ruhig: »Es ist Scheiße, Paula. Richtige Scheiße.«
    Ich war auf seine Reaktion gefasst, ich hatte nichts anderes erwartet, dennoch stiegen mir Tränen in die Augen. Er hatte sich nicht einen Augenblick auf das Bild eingelassen. Er war gar nicht fähig, sich von einer Kunst, die nicht seine eigene ist, anrühren zu lassen.
    »Das Bild, wenn es überhaupt eins ist, wirst du in der Schule nicht zeigen. Davor kann ich dich nur warnen. Meine Kollegen werden dich zerreißen, und zwar völlig zu Recht. Modernistische Scheiße ist das. Aber es ist schön weiß, du kannst es gut als Malgrund benutzen fürein richtiges Bild. Und ein richtiges Bild solltest du bald vorweisen können, noch vor den Herbstferien.«
    Ich erwiderte nichts und sah ihn nur hasserfüllt an.
    »Jetzt heult sie wieder, als ob das etwas hilft. Du willst doch eine erwachsene Frau sein, also hör auf zu heulen.«
    Er sah wieder auf das Bild, schüttelte den Kopf und lachte. Dann schob er mich zur Seite, um die Tür zu öffnen, und ging die Treppe hinunter. Unten zeterte er laut weiter, beschimpfte mich, verwünschte mein Bild und bedauerte sich selbst. Ich schlug die Tür zu, setzte mich vor mein Bild und heulte.
    Drei Tage später nahm ich das Bild in die Schule mit. In meiner Seminargruppe war man überrascht, einige machten anerkennende Bemerkungen, viele waren skeptisch und betrachteten es misstrauisch, aber keiner lehnte es grundsätzlich ab oder hielt es für misslungen. Das Schönste sagte mir Petra. Sie kam nach der fünften Stunde zu meiner Bank, setzte sich neben mich und sagte: »Dein Bild hat irgendetwas. Ich denke schon den ganzen Tag an deine weiße Landschaft. Hat sich in mir festgebissen, dieses Weiß, dabei ist ja kaum etwas zu sehen. Ich glaube, dir ist mit diesem Bild etwas ganz Besonderes gelungen, ich weiß nur nicht, was. Ich verstehe dein Bild nicht, ich weiß nicht, was das soll, aber es hat was.«
    Ich hätte sie umarmen können, blieb aber reglos auf meinem Platz sitzen und erwiderte: »Geht mir auch so. Eigentlich verstehe ich es auch nicht. Ich weiß, ich habe etwas geschafft, aber was, das weiß ich nicht.«
    Oltenhoff zeigte ich das Bild einen Tag später, als wir bei ihm Unterricht hatten. Er schaute auf die Leinwand, dann sah er mich irritiert an und fragte: »Ich verstehe nicht, was willst du mir zeigen, Paula?«
    »Meine Winterlandschaft«, sagte ich knapp. Ich spürte,wie ich mich verkrampfte. Vielleicht hatte Waldschmidt seinem Freund Oltenhoff schon etwas gesteckt.
    »Ich sehe nur eine grundierte Leinwand. Die Grundierung ist nicht makellos, da und dort schimmert etwas durch. Aber du willst mir doch nicht eine Grundierung zeigen, oder? Bei einer Studentin im fünften Studienjahr setze ich voraus, dass sie grundieren kann.«
    »Sieh dir einfach das Bild an. Ich habe vier Monate daran gearbeitet.«
    »Vier Monate?«, fragte er ironisch, »was hast du bei mir gelernt, Paula? Hör zu, räum

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