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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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ich jedes Jahr einmal vor den Studenten. In der Geldwirtschaft existiert übrigens ein vergleichbares Phänomen. Geld als Tauschmittel war eine glänzende Erfindung, es ersetzte die unterschiedlichen Geldsorten der Naturvölker, das Nutzgeld, das Schmuckgeld, das Kleidergeld. Das waren alles Binnengelder, die schließlich von einem allgemein gültigen Metallgeld verdrängt wurden. Aber für dieses Geld hatte man damals unedle Metalle gewählt, rostendes Eisen. Die Bürger von Milet kannten noch das verrottende Geld, das war groß gedacht, das war menschlich. Da nichts Irdisches Bestand hat, sagten sich die antiken Banker, sollte auch das Geld verrotten. Nach fünfzig Jahren, nach hundert Jahren war es einfach dahin, so wie ein Haus zerbröselt, wie ein Schiff verfault, wie jeder Besitz. Geld war sterblich wie wir Menschen. Doch dann griff der Staat ein, er brauchte einen festen Dreh- und Angelpunkt, um seine Herrschaft zu sichern und das Privateigentum. Und seitdem verrottet zwar weiterhin alles, nur nicht das teure Geld. Doch das war nur ein scheinbarer Fortschritt, ein Sieg der Staatsraison und eine Niederlage der Menschen, denn damit wurde der Krieg unumgänglich. Eine Gruppe, ein Zusammenschluss von Menschen, eine Nation kann nicht über Jahrzehnte und Jahrhunderte unverrottbares Geld anhäufen. Das wäre eine Katastrophe, es hätte schließlich keinerlei realen Gegenwert mehr, nicht in dieser Größenordnung, da jeder potenzielle Gegenwert verrottet. Irgendwann wäre die Welt voller Millionäre, die sich mit ihrem Geld nichts kaufen können. Eine neue Bedrohung für den Staat, also mussten Inflation und Krieg her, um zur Sicherung der staatlichen Macht das Geldvermögen zu vernichten. Genauer gesagt, Teile desangesammelten Vermögens, nämlich das zirkulierende Geld der Masse. Geld und Vermögen werden vernichtet, um den Wert von Geld und Vermögen zu sichern. Wertschöpfung durch Vernichtung, denn auf diesem Weg werden Ressourcen verknappt, und der Mangel schafft Wert. Krieg ist für jeden Staat zu jeder Zeit das Allheilmittel, er kurbelt die Wirtschaft an, vernichtet die bedrohlichen Überschüsse, das Zuviel an Produkten wie Menschen, und zwingt den Bürger in die Gemeinschaft. Im Frieden und bei einem gesicherten Auskommen ist der Mensch ein privates Wesen. Erst der Krieg macht ihn zum Staatsbürger, der äußere Feind zwingt ihn zum Schulterschluss mit der Gemeinschaft, macht ihn uniform. Und schließlich die Kriegsbegeisterung, der Sieg, die Niederlage, die Not, all das schmiedet Nationen. Erst mit dem Krieg endet der Privatmensch und beginnt, nolens volens, der Staatsbürger.«
    Ich hörte seinen Ausführungen aufmerksam zu, Sibylle allerdings schüttelte den Kopf.
    »Pariani, du hältst eine Vorlesung, und wir sind im Urlaub.«
    »Entschuldige, aber du musst zugeben, ein Geld, das verrottet, das war ein genialer Gedanke. Und mit der Polygamie ist es ganz ähnlich, da ist es genauso verquer gelaufen. Die Menschen sind völlig verschieden, die einen wollen allein leben, andere zu zweit, die einen ziehen es vor, mit einer Frau zusammen zu sein, die anderen wollen einen Partner vom gleichen Geschlecht. Und noch andere sind polygam. Was ist dagegen einzuwenden? Nichts. Nur der Staat hat eigene Interessen, und die hat er mit seinem Machtmonopol durchgesetzt, jedenfalls in unserer Kultur. Gegen das Individuum, gegen dessen natürliche Bedürfnisse. Glücklich sind die Menschen dabei nicht geworden.«
    »Erzählst du tatsächlich so etwas deinen Studenten, Marco?«
    »Gewiss. Gleich in den allerersten Vorlesungen. Das macht sie heiß, Paula, sie lassen sich nach einem solchen Auftakt keine einzige meiner Vorlesungen entgehen, in der Hoffnung, mehr zu diesem Thema zu hören.«
    Sibylle stand auf, um eine Flasche Wasser aus der Küche zu holen. Ihr Mann goss sich die letzten Tropfen aus der Weinflasche ins Glas.
    »Was ist, meine Damen, trinken wir noch eine Flasche?«
    Sibylle schaute mich an und schüttelte den Kopf: »Danke, nein. Und für dich ist es auch besser, auf Wasser umzusteigen. Sonst verrennst du dich noch in irgendwas. Ich ahnte ja nicht, was für bigame Neigungen in dir stecken.«
    »Alles, was wir sind, wie wir sind, das ist das Ergebnis dieser Kultur und Erziehung. Vielleicht steckt ein ganz anderer Kerl in mir, ein Sultan, ein Pascha, wer weiß. Und die eigentliche Sibylle, die wirkliche Paula, wie wäret ihr ohne dieses Korsett? Keiner weiß es.«
    »Und du würdest uns gern ohne Korsett

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