Frau Paula Trousseau
Marco?«
Sie schaute auf ihre Hände und schwieg einen Moment.
»Davor habe ich Angst, Paula«, sagte sie schließlich und sah mir in die Augen.
»Wovor?«
»Es ihm zu sagen. Er weiß noch nichts, ich habe ihm nichts davon erzählt. Ich habe nur mit Elsa gesprochen, meiner Schwester, und jetzt mit dir. Ich habe Angst davor, es Pariani zu sagen. Und hier oben wird er nichts davon erfahren, es reicht, wenn ich es ihm hinterher sage, in Berlin. Zumindest unseren Urlaub will ich mir von diesem dummen Krebs nicht kaputtmachen lassen. Aber ich musste mit jemandem darüber sprechen.«
»Ich begreife es nicht, Sibylle.«
»Geht mir nicht anders, meine Schöne. Ich verstehe es auch nicht. Nichts tut mir weh, ich fühle mich prächtig, kein Schmerz, keinerlei Schwächen. Ich könnte Bäume ausreißen. Bei einem Schnupfen würde es mir schlechtergehen. Doch das ist eine Täuschung, denn seit drei Wochen gibt es so etwas wie einen Schlusspunkt, eine Todeslinie. Doch keiner weiß, wo. Vielleicht habe ich noch zwei Monate, oder ein halbes Jahr. Vielleicht noch fünf Jahre. Das alles weiß allein mein neuer Liebhaber. So, nun habe ich dir ein dickes Paket aufgebürdet.«
»Warum redest du nicht mit Marco? Es würde dir helfen.«
»Nach dem Urlaub. Ich weiß genau, was passieren wird, wenn er es erfährt. Wir werden jeden Tag vierundzwanzig Stunden darüber reden, und das halte ich nicht aus. Darum erzählte ich es ihm noch nicht, darum kontrolliere ich jeden Tag die Post, bevor er sie in die Hände bekommt, denn es könnte ein Brief vom Krankenhaus dabei sein, der ihn misstrauisch machen würde. Wenn wir wieder in Berlin sind, kommt für ihn die Überraschung. Ich habe alles geplant. Ich werde einen Kuchen backen, ein Bachkonzert auflegen und es ihm dann erzählen.«
»Und dann? Gehst du ins Krankenhaus? Lässt du dich operieren?«
»Ich weiß nicht. Wenn ich sowieso keine Chance habe, warum sollte ich dann meine letzten Monate ausgerechnet mit Ärzten verbringen? So aufregend sind die nicht. Vielleicht mache ich mit Pariani ein paar Reisen. Ich könnte mir noch ein paar Städte ansehen, die ich nicht kenne, ein paar Museen, oder den Ozean. Wenn ich kräftig genug bleibe, ist das gewiss amüsanter als ein Krankenhausbett. So, Paula, und nun gehen wir zurück, wir wollen Mittagessen machen. Verplappere dich nicht. Und mach nicht so eine Leidensmiene.«
Die verbleibenden Stunden waren nicht einfach für mich. Über den Krebs haben wir an der See kein Wort mehr gesprochen. Selbst wenn ich mit ihr allein war, wollte Sibylle nichts mehr dazu sagen und davon hören. Siescherzte ausgelassen und scheinbar sorglos mit mir und ihrem Mann. Ich bemühte mich, mich genauso zu verhalten, aber ich brachte nicht die Gelassenheit auf. Als Pariani sich erkundigte, wieso ich so schweigsam sei, erwiderte Sibylle, er möge mich in Ruhe lassen, ich hätte Liebeskummer. Er bedauerte mich und bemühte sich um mich, was meine Verlegenheit vergrößerte. Es war eine absurde Situation entstanden: über das einzige Thema, über das ich mit Sibylle sprechen sollte und müsste, schwiegen wir, und Marco Pariani erkundigte sich eingehend nach meinem angeblichen Liebesleid, und dabei war er es, der zu bedauern war. Es war so schwer erträglich geworden, dass ich beschloss, vorzeitig abzureisen, doch ich fühlte mich bei dem Gedanken unwohl, ich wollte und konnte Sibylle das nicht antun.
Ihr war nichts anzumerken, überhaupt nichts. Ich bewunderte Sibylle, sie war so schön und so stark, sie hatte dieses Schicksal nicht verdient. Es war so ungerecht, dass ausgerechnet diese stolze Frau von einer bösartigen Geschwulst aufgefressen wurde.
»Du hast deinen Mann übrigens nicht belogen«, sagte ich am Abend zu ihr, als wir wieder in der Küche etwas zum Essen vorbereiteten, »ja, es ist Liebeskummer, den ich habe.«
Sie schaute mich überrascht an. Sie brauchte ein paar Sekunden, bis sie begriff.
»Freut mich«, sagte sie.
19.
An diesem Abend war Pariani witzig wie immer und äußerst zuvorkommend Sibylle und mir gegenüber, aber mehrmals machte er kleine Bemerkungen, die ich nichtverstand, Anspielungen, die mich beunruhigten und verunsicherten. Als er vor dem Haus rauchte, fragte ich Sibylle, ob er etwas von uns wisse.
»Nein«, sagte sie, »er weiß nichts. Aber er sieht, dass wir uns gut verstehen, und denkt sich seinen Teil. Vielleicht träumt er davon, mit uns beiden ins Bett zu gehen.«
Ich schaute sie überrascht an.
»Das ist nur eine
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