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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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verdorrt, das würde auch gehen. Aber nur mit einem solchen Zentrum könnte ich diese Sonne malen.«
    »Du hast sicher Recht, Paula, doch es ist merkwürdig. Weist das nicht auf einen Defekt bei uns hin, dass wir Schönheit nicht ertragen?«
    Ich wusste nichts zu erwidern und zuckte mit den Schultern. Pariani legte einen Arm um Sibylle, den anderen um meine Schultern, und so gingen wir ins Haus zurück.
    Es wurde ein schönes letztes Frühstück. Pariani gab sich große Mühe. Er ließ es nicht zu, dass wir auch nur einmal vom Tisch im Garten aufstanden, und bemühte sich, uns die Wünsche von den Augen abzulesen. Sibylle saß wie eine Königin in ihrem Gartenstuhl, wunderschön und selbstsicher und glücklich. Wenn ich einmal die Göttin der Liebe malen sollte, sie wäre mein Modell.
    Sibylle wartete mit mir auf dem Bahnhof, bis der Zug einfuhr. Sie ließ sich nicht davon abhalten, mit mir einzusteigen, um meine Tasche ins Abteil zu stellen. In der Waggontür, noch bevor sie die zwei Stufen zum Bahnsteig hinunterstieg, umarmte sie mich ein letztes Mal.
    »Ich danke dir, Paula. Ich danke dir für viel mehr, als du ahnen kannst. Mir geht es gut, ich fühle mich leicht, ich könnte schweben.«
    »Wir sehen uns bald wieder, Sibylle. Ruf mich an, wenn du in Berlin bist.«
    »Wir sehen uns. Aber in die Klinik wirst du nicht kommen, das musst du mir versprechen. Ich will das nicht.«
    Ich wollte irgendetwas Freundliches sagen, aber ich brachte keinen Ton heraus. Es gab nichts, was ich ihr hätte sagen können, jeder Satz und jedes Wort wäre unaufrichtig gewesen. Jeder, außer diesem einen: Du wirst sterben, Liebe. Sie werden dich bestrahlen, sie werden dich mit Chemie vollpumpen, du wirst abmagern oder monströs zunehmen, du wirst deine Haare verlieren, sie werden dich, dein Gesicht und deinen ganzen Körper, bis zur Unkenntlichkeit verändern. Und wenn du diese Quälerei überstanden hast, wirst du todkrank und schwach sein, und dann wirst du sterben, meine Liebe. Was konnte ich ihr da noch sagen. Mich erfasste plötzlich panische Angst. Ich streichelte ihr über die Wange und rannte in mein Abteil.

Fünftes Buch
1.
    Am achten September bestätigte mein Gynäkologe, was ich seit vierzehn Tagen vermutet hatte, ich war im zweiten Monat schwanger. Auf die Frage, ob ich das Kind wolle, ob ich mich freue, ob es ein Wunschkind sei, antwortete ich jeweils und ohne zu zögern mit einem klaren Ja. Er gratulierte und verschrieb mir Vitamine.
    »Sie sollten mehr essen«, sagte er, »dem Kind zuliebe. Sie brauchen Kraft und Ruhe. Versprechen Sie mir, mehr Rücksicht auf sich und das Kind zu nehmen. Sie haben jetzt eine Verantwortung.«
    Ich sah ihn so befremdet an, dass er verlegen wurde und mir nochmals gratulierte.
    Ja, ich wollte das Kind. Und dieses Kind wollte ich behalten. Um jeden Preis. Als Jan am Abend anrief und mich für den nächsten Tag zum Essen einlud, zögerte ich, bis er fragte, ob ich noch am Apparat sei.
    »Ja«, sagte ich, »wir sollten uns treffen. So bald wie möglich.«
    »Ich kann heute noch vorbeikommen, wenn es dringend ist. In zwei Stunden? Treffen wir uns kurz nach zehn?«
    »Gut. Aber nicht bei mir in der Wohnung, wir sehen uns im Ratskeller. Sagen wir um elf, eine Stunde vor Mitternacht.«
    »Was gibt es denn? Du machst es ja richtig spannend, Paula.«
    »Ich sag es dir dann.«
    Ich fuhr mit dem Rad zum Ratskeller und traf dortzwanzig Minuten nach elf ein, ich hatte Mühe, so spät noch eingelassen zu werden, da man schließen wollte. Jan wartete auf mich und hatte bereits zwei Schoppen Wein für uns bestellt. Er versuchte, mich zur Begrüßung zu küssen, doch ich drehte den Kopf wie zufällig weg und setzte mich rasch. Er fragte mehrfach, was es gäbe, aber ich nippte nur an meinem Glas. Daheim hatte ich mir alles zurechtgelegt, aber als ich ihm gegenübersaß, fehlte mir der Mut. Ich musste meine ganze Kraft zusammennehmen, um ihm zu sagen, dass wir uns trennen müssten. Es kam für ihn wie ein Schlag aus heiterem Himmel, und einen Augenblick lang tat er mir leid.
    »Aber wieso denn? Warum? Was ist passiert?«, wiederholte er immer wieder.
    »Ich habe einen anderen Mann kennengelernt. Er ist auch Maler.«
    Ich dachte, diese Lüge würde ihm helfen. Der Kellner kam an den Tisch, um zu kassieren und darauf hinzuweisen, dass die Gaststätte bereits geschlossen und er eigentlich Feierabend habe. Jan nickte, aber ich glaube nicht, dass er etwas von dem verstanden hatte, was der Kellner sagte. Er wollte

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