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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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betrachteten schweigend die Urlauber, die an demHaus vorbeiliefen, stehen blieben, es eingehend musterten und offensichtlich über uns sprachen. Das Meer war vom Garten aus nicht zu sehen, nur der Horizont zeigte sich zwischen den Bäumen. Der endlose Himmel war völlig klar und von leuchtendem Blau, drei Wolken tupften ihn im Norden, einsam und verloren in der strahlenden Kuppel des Firmaments.
    »Mein Gott, das ist zu schön«, sagte Sibylle.
    Mir schien, als hätte sie Tränen in den Augen, doch Sekunden später lachte sie wieder.
    »Schau dir diesen Himmel an, Paula. Und da willst du wegfahren? In deine triste Stadt?«
    »Daran habe ich auch gerade gedacht«, sagte ich. »Wenn ich euch nicht auf den Wecker falle, verschieb ich die Abreise nochmals. Um einen Tag?«
    Sibylle drückte mich an sich.
    »Wunderbar«, sagte Pariani, »und was machen wir mit dem angebrochenen Abend?«
    Er ging ins Haus und öffnete einen Wein, den er von einer seiner Reisen nach Italien mitgebracht hatte, das Geschenk eines römischen Kollegen. Die übergroße Flasche liege seit zwei Jahren im Keller, er wollte einen würdigen Anlass haben, um sie öffnen, und der sei heute. Wir gingen mit den Gläsern hinter das Haus und setzten uns an den Gartentisch. Pariani hatte eine Schallplatte aufgelegt, Cembalosonaten von Bach, und einen Lautsprecher ins offene Fenster gestellt. Nach dem ersten Schluck sagte er: »Ja, Sibylle, so wie jetzt, so sollte es bleiben. So kann man leben.«
    »Ja, aber leg eine andere Platte auf, die Musik ist mir zu feierlich und düster. Ich würde jetzt gern tanzen.«
    »Tango? Ich könnte Gardel anbieten.«
    »Nein. Dazu kann man nicht zu dritt tanzen. Lass dir etwas einfallen.«
    »Dann hätte ich nur noch Jazz im Angebot. Etwas anderes habe ich nicht.«
    Pariani ging ins Haus und legte eine andere Platte auf. Er blieb im Fenster stehen und wartete, ob Sibylle mit der Musik einverstanden war. Wir zogen die Schuhe aus und begannen, auf dem kleinen Rasenstück zu tanzen. Sibylle schien sehr glücklich zu sein. Ich bewunderte ihre Kraft, beneidete sie wegen ihrer Vitalität. Sie wusste, dass sie krank war, und war imstande, sich nichts anmerken zu lassen. Sie war vergnügt und liebevoll wie immer.
    Es war dunkel geworden. Die wenigen Straßenlaternen schrumpften zu fernen, schummrigen Lichtpunkten, nur ein paar erleuchtete Dachfenster ließen etwas von den Häusern ahnen. Pariani wollte das Gartenlicht einschalten, aber Sibylle bat ihn, die Kerzen in den Windlichtern anzuzünden und die Musik leiser zu stellen. Sie tanzte immer wilder, ich kam außer Atem und wollte eine Pause einlegen, aber sie griff nach meiner Hand und ich musste weitermachen. Keiner von uns sagte etwas, jeder gab sich ganz der Musik und der Nacht hin, ein Tanzen wie ein Träumen. Die Erde unter unseren Füßen war noch immer sonnenwarm, und die weiße aufgeheizte Steinmauer des Hauses strahlte Wärme ab. Wir tanzten leicht und wie befreit, die Körper wiegten sich, wir berührten einander, ohne uns anzufassen. Dann ließ sich Sibylle erschöpft ins Gras fallen, und Pariani und ich setzten uns neben sie.
    Als der Morgen dämmerte, schlug Sibylle vor, ans Wasser zu gehen.
    »Du musst den Sonnenaufgang sehen«, sagte sie, »unbedingt.«
    Zu dritt gingen wir zwei Stunden den Strand entlang. Die aufgehende Sonne war riesig und von majestätischer Wucht. Gleichmütig, stoisch, gnadenlos.
    »Na, ist das nicht ein Bild zum Malen«, sagte Sibylle.
    »Nein, ist es nicht. Nicht mehr. So viel Schönheit, so viel unangetastete Schönheit ist heutzutage nicht mehr malbar. Das will keiner sehen, das erträgt keiner mehr auf einem Bild. Wenn du das malst, kommt unweigerlich dummer Kitsch raus. Nur ein Kind oder ein Idiot kann das noch malen.«
    »Du hast Recht. So schön das ist, in mein Zimmer möchte ich mir das nicht hängen«, meinte Pariani.
    »Aber warum?«, erkundigte sich Sibylle, »wieso ist plötzlich eine Naturschönheit nicht mehr darstellbar? Die Sonne geht doch so wunderbar auf, wir sehen es ja.«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich, »vielleicht gibt es eine Schönheit, die wir nur unreflektiert ertragen. Wenn wir sie malen wollen, dann muss ein Bruch hinzukommen, etwas Zerstörtes, sonst können wir das Bild nicht ertragen. Vielleicht der Bruch, der durch unser Leben geht. Wenn ich diese Sonne malen müsste, ich würde eine einsame und grenzenlos traurige Frau in den Vordergrund setzen. Oder ein verlassenes Kind. Ein blattloser Baum, trist und

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