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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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orientalisch, sie waren voller Grausamkeiten und Gewalt. Immer wieder wurde jemand bis aufs Blut ausgepeitscht oder mit dem Feuertod bedroht. Feuer und Blut, das waren die beiden Farben für dieses Buch, das wusste ich nach der ersten Lektüre. Es würde kein niedliches Kinderbuch werden, und ich wusste nicht, wie Gerda Heber und der Verlag auf solche Bilder reagieren würden, doch ich konnte die Brutalität und den Schrecken dieser Geschichten nicht auslöschen, und ich wollte die Gewalt zeigen und nicht beschönigen. Zwei Tage später hatte ich das Typoskript durchgelesen, die Blätter von zwei Zeichenblöcken waren mit Skizzen gefüllt, ich sah das fertige Buch vor mir, ich konnte noch am gleichen Tag anfangen.
    Jan schien sich beruhigt zu haben. Ab und zu meldete er sich telefonisch, und immer versuchte er, mich einzuladen, zu einer Premiere oder zu einem Essen. Ich sagte jedes Mal ab. Anfang Februar hatte er erfahren, dass ich schwanger war. Er stellte überhaupt keine Vermutungen an, gratulierte mir vielmehr und fragte, ob ich mit meinem Freund, er nannte ihn immer nur den Maler, zusammenlebe, was ich sehr kühl bestätigte. Seine Einladung zu einem Essen schlug ich aus. Darauf fragte er, ob ich absage, weil ich schwanger sei oder wegen des Malers, und ich erwiderte: »Sowohl als auch.«
    Er rief nie wieder an. Ich habe ihn später nur noch auf der Kinoleinwand und im Fernsehen gesehen.

    Anfang des Jahres war Sibylle Pariani ins Krankenhaus gekommen. Im Februar hatte ich bei ihr zu Hause angerufen und von ihrem Mann erfahren, dass sie wieder in der Klinik in Buch liege. Ich fuhr noch am gleichen Abend zu ihr raus. Sie lag in einem Einzelzimmer, und ichhatte Mühe, mein Entsetzen zu überspielen, als ich sie sah. Die schöne Sibylle war völlig entstellt, sie war aufgedunsen, ihr Gesicht das einer verfetteten alten Frau, die Haut großporig und rötlich, über den Kopf hatte sie ein Tuch gebunden, die fehlenden Augenwimpern verrieten, dass die Haare ausgefallen waren. Statt einer Begrüßung sagte sie die alte Zeitungsparole, die auch ich aus der Schulzeit noch kannte: »Chemie schafft Schönheit, Gesundheit und Wohlstand.«
    Ich drückte sie lange an mich, um sie nicht ansehen zu müssen und um mich zu beruhigen.
    »Weine nicht, Kleine«, sagte sie, »und reden wir nicht über die Krankheit. Damit müssen wir uns nicht aufhalten. Erzähle mir von dir. Was macht die Liebe, was die Arbeit? Und vor allem, was macht das kleine Menschlein da drinnen? Lässt es dich schlafen, oder ist es sehr lebhaft? Und ahnst du schon, was es ist?
    »Es sind jedenfalls keine Zwillinge.«
    »Was wünschst du dir denn?«
    »Ich nehme es, wie’s kommt.«
    »Wann ist der Termin?«
    »Die zwanzigste Kalenderwoche wurde mir gesagt, also Mitte, Ende Mai.«
    »In drei Monaten. Da hoffe ich, alles überstanden zu haben, das haben sie mir jedenfalls gesagt. Wenn du einen Paten brauchst, ich würde es gern sein, Paula.«
    »Ich lasse das Kind nicht taufen. Darüber soll es entscheiden, wenn es groß genug ist.«
    »Aber es kann doch trotzdem Paten haben. Ich finde, das ist eine schöne Idee. Denk darüber nach, Paula, und wie gesagt, ich steh bereit. Was ist mit dem Vater? Bist du mit ihm zusammen?«
    »Mein Kind hat keinen Vater.«
    Sibylle schaute mich verwundert an, dann lachte sieherzlich: »Ja, daran erkenne ich meine Paula. Das Kind hat keinen Vater. Hast du ihn rausgeworfen?«
    »Er weiß nichts davon. Bei der Trennung habe ich ihm nicht erzählt, dass ich schwanger bin. Das ist mein Kind.«
    »Wieder mal eine unbefleckte Empfängnis, wie schön. Du wirst es schon schaffen. Und notfalls können Marco und ich dir helfen. Ich kann ja die Amme werden. Du gibst das Kind nicht in den Kindergarten, sondern ich betreue es. Was hältst du davon?«
    »Eine gute Idee. Aber erst muss es mal auf die Welt kommen.«
    Ich war zwei Stunden bei ihr, und wir verloren kein Wort über ihren Krebs. Ihre Haltung gefiel mir. Vielleicht würde sie wieder gesund, vielleicht würde sie sterben, man musste wirklich kein Wort darüber verlieren.

    Für den zweiten März war ich mit Gerda Heber verabredet. Ich hatte mir ein Taxi genommen, um in den Verlag zu fahren, da ich mich mit meiner großen Mappe nicht in eine Straßenbahn quetschen wollte. Ich nahm nicht alle Arbeiten mit, die ich inzwischen fertiggestellt hatte, sondern hatte acht Aquarelle ausgesucht, zwanzig große Zeichenblätter und ein paar meiner Skizzen. Frau Heber schaute sie rasch durch, sie

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