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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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bei mir anrief und ich seine Stimme hörte, wusste ich, was passiert war.
    »Sibylle hat mich verlassen«, sagte er mit tonloser Stimme, und dann schwiegen wir beide.
    »Soll ich bei dir vorbeikommen?«, fragte ich.
    »Danke, nein, nicht nötig. Ich höre Musik und schreibe Briefe oder telefoniere. Außerdem gibt es jetzt viel für mich zu tun, ich habe es eigentlich noch überhaupt nicht begriffen. Ich sage dir und allen Freunden, dass Sibylle tot ist, aber ich selbst habe es noch nicht begriffen.«
    »Ich umarme dich, Marco«, sagte ich, bevor wir auflegten.
    Eine Minute später rief er wieder an. Er entschuldigte sich, weil er nicht nach meinem Kind gefragte habe. Ich sagte ihm, es sei alles in Ordnung, der Geburtstermin sei in sechs Wochen, und es gehe mir gut.
    »Sibylle wollte unbedingt Patentante bei deinem Kind sein«, sagte er.
    »Hat sie es dir auch gesagt?«, fragte ich.
    »Ja. Sie sprach immerfort von deinem Kind. Das war ihr sehr wichtig. Sie sprach davon, als würde sie es bekommen. Möglicherweise lenkte es sie von der Krankheit ab.«
    »Das wäre schön«, sagte ich, »ich werde mich dafür bei meinem Kind bedanken.«
    »Ja, tue das. Und grüß es von mir. Du kommst zur Beerdigung?«
    »Selbstverständlich.«
    »Ich sage Bescheid, sobald ich den Termin weiß. Und ich hoffe, wir verlieren uns nicht aus den Augen, Paula.«
    »Tun wir nicht«, versprach ich.
    Die Beerdigung war zwölf Tage später. Ich traf Freddy und die anderen Freunde der Parianis, und alle starrten sie auf meinen Bauch und machten ein paar freundliche Bemerkungen. Freddy war mit einem jungen Mädchen gekommen, noch jünger als ich. Ich wollte wissen, ob es eine seiner neuen Studentinnen war, aber ich fragte weder ihn noch einen der anderen danach. Ich hörte mir die Reden an, versuchte der Musik zu lauschen, warf zwei Hände Erde ins Grab und umarmte schließlich Marco. Er bat mich, in das Restaurant mitzukommen, aber ich schüttelte den Kopf und wies auf meinen Bauch. Ich hatte nicht vor, mit Freddy zusammenzusitzen und mir seine Sprüche anzuhören.
    »Ich melde mich bei dir«, sagte ich und verließ rasch den Friedhof.
    Ich habe Marco Pariani nie wieder gesehen, das war keine Absicht, es ergab sich so.
6.
    Anfang Mai war ich mit den Buchillustrationen fertig. Trotz der Belastungen durch mein Baby, ich musste zum Arzt und zur Schwangerenberatung, einige Babysachen einkaufen und mir gebrauchte bei Bekannten abholen, und ich nahm an einem Training für schmerzfreie Geburt teil, hatte ich erreicht, was ich wollte. Ich hatte es geschafft, und ich war mit meinen Illustrationen sehr zufrieden. Auf zwölf Blättern waren kleine Kinder zu sehen, Säuglinge, winzige Gören oder auch nur Kinderköpfe, ineinem der farbigen Blätter hatte ich sogar einen Embryo in eine Baumkrone gesetzt. Mein Kind, das mich bei der gesamten Arbeit begleitet und unterstützt hatte, sollte in dem ersten Buch, das ich mit ihm gearbeitet hatte, auch zu sehen sein.
    Mitte Mai, nachdem ich zwei Tage lang die fertigen Blätter skeptisch und misstrauisch betrachtet hatte, ohne einen einzigen Strich zu machen, und sie schließlich zufrieden in eine Mappe gelegt hatte, rief ich Gerda Heber im Verlag an und bat sie, zu mir zu kommen.
    »Gibt es ein Problem?«, fragte sie.
    »Im Gegenteil«, sagte ich, »ich möchte mich nur nicht mehr in die Bahn setzen. Ich glaube, mein Kind kommt viel früher als geplant.«
    Gerda Heber stand bereits eine Stunde später vor der Tür. Als ich öffnete, sah sie mich besorgt an, aber ich beruhigte sie, führte sie in mein Zimmer und legte ihr die Mappe vor.
    »Schauen Sie sich die Blätter an und rufen Sie mich, wenn Sie fertig sind«, sagte ich und ging in die Küche. Ich war zuversichtlich. Ich hatte etwas geschafft, das ich vorzeigen konnte. Ich setzte mich auf den Küchenstuhl, legte beide Hände auf meinen Bauch und redete mit dem Kind. Es bewegte sich, es schlug gegen den Bauch, ich konnte ein Beinchen oder ein Ärmchen deutlich spüren. Dann stand ich auf und kochte Tee. Mit einer Tasse ging ich ins Zimmer, sie hatte mich nicht gerufen, aber ich wollte wissen, was sie von meiner Arbeit hielt.
    »Eine Tasse Tee?«, fragte ich und versuchte, gelassen zu wirken.
    Sie nickte und strahlte mich an. Ich war erleichtert. Ich stellte die Tasse rasch ab, da ich zitterte.
    »Es ist sehr schön«, sagte sie, »wunderbar. Mir gefallen alle Blätter, ausnahmslos. Es wird kein lieblichesBuch, aber es sind schließlich auch keine

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