Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
Vom Netzwerk:
für denselben Tag. Sie sagte mir, der Verlag wolle mir die Illustration eines Buches mit kaukasischen Märchen anvertrauen. Es gehe um zweiundzwanzig farbige Aquarelle und dreiundfünfzig Schwarzweiß-Zeichnungen. Die Aquarelle würden ganzseitig reproduziert, die Größe der Zeichnungen habe die Herstellung genauestens festgelegt, sie sollten zum Teil halbseitig werden, andere nur die Größe von Vignetten haben. Sie schenkte mir zwei großformatige Märchenbücher, das neue Buch sollte ähnlich wie sie ausgestattet werden, und gab mir einen Aktenordner, der das gesamte Typoskript enthielt, neunzehn Märchen aus Grusinien, Armenien und Aserbaidschan.
    »Was halten Sie davon? Wollen Sie den Auftrag übernehmen, oder wollen Sie die Märchen zuerst lesen und sich dann entscheiden?«
    »Diesen Vertrag unterschreibe ich sofort«, sagte ich.
    »Wann können Sie mit der Arbeit anfangen? Wann könnten Sie liefern? Wir haben feste Termine.«
    »Das Manuskript lese ich noch heute Nacht. Und mit der Arbeit beginne ich morgen früh. Ich schiebe alles andere beiseite.«
    »Sehr schön. Im März brauche ich ein paar Blätter, um sie vorzulegen. Da sollten auch zwei, drei Vorschläge für den Schutzumschlag dabei sein. Und Anfang August muss alles fertig sein. Das Buch wird erst in zwei Jahren erscheinen, aber so sind nun einmal die Produktionsabläufe.«
    »Das schaffe ich. Wie gesagt, den Vertrag unterschreibe ich sofort. Habe ich den Auftrag, Frau Heber?«
    »Ich denke, es wird keine Probleme geben. Der Vorschlag kam von mir, aber die Cheflektorin war von Ihren Blättern für unser europäisches Märchenbuch so angetan, dass sie sofort einverstanden war. In spätestens vierzehn Tagen haben Sie den Vertrag.«
    »Danke.«
    »Und die beiden Termine, erster März und fünfzehnter August, können Sie garantiert einhalten?«
    »Gewiss. Auf jeden Fall.«
    »Ich frage nur, weil … ich vermute, Sie sind schwanger, oder irre ich mich?«
    Gerda Heber war eine Bekannte von Jan, fiel mir in diesem Moment ein. Er hatte vor einem knappen Jahr die Verbindung hergestellt. Aber ich konnte nicht leugnen, mein Bauch war zu sehen, und ich würde in den nächsten Monaten noch mehrfach mit Gerda Heber zu tun haben.
    »Nein, Sie irren sich nicht.«
    »Gratuliere. Und wann soll das Kind kommen? Welchen Geburtstermin hat man Ihnen genannt?«
    »Ende Juni«, sagte ich.
    Das war gelogen, denn das Kind sollte schon am zehnten Mai kommen, aber wenn sie Jan von meiner Schwangerschaft erzählte, sollte er sich nichts ausrechnen können. Mein Kind hatte ein Phantom als Vater, und dabei sollte es bleiben.
    »Das beißt sich mit dem Abgabetermin«, sagte sie, »wie wollen Sie das schaffen?«
    »Ich schaffe es. Ich werde nicht erst im August, sondern im Juni fertig sein. Mitte Juni, vor der Geburt.«
    Sie schwieg und überlegte.
    »Ich muss es der Cheflektorin sagen. Das geht nicht anders. Unsere Produktionstermine …«
    »Bitte«, sagte ich, »ich will das Märchenbuch machen. Ich brauche den Auftrag.«
    »Versuchen wir es«, sagte sie, »ich weiß nichts von einer Schwangerschaft, ich habe nichts gesehen. Und ich verlasse mich darauf, dass Sie im Sommer abliefern.«
    »Danke«, sagte ich, »Sie können sich auf mich verlassen.«
    Ich stand auf, um mich zu verabschieden. Ich reichte ihr die Hand, doch sie lächelte mich nur verwundert an.
    »Sie haben überhaupt nicht nach dem Honorar gefragt«, sagte sie nach einer kleinen Pause, »das habe ich noch nie erlebt. Brauchen Sie kein Geld?«
    »Um ehrlich zu sein, ich bin bankrott. Aber das bin ich seit meinem Studium, ich habe mich daran gewöhnt. Wie viel zahlen Sie? Ich vermute, der Verlag hat feste Honorare, bei denen es nichts zum Verhandeln gibt.«
    »Das macht die Cheflektorin, da habe ich nicht mitzureden. Allerdings weiß ich, es gibt einen gewissen Spielraum. Wenn Sie den Vertrag haben, rufen Sie mich an und sagen Sie mir, was man Ihnen angeboten hat. Dann kann ich Ihnen vielleicht etwas flüstern, eine Summe, die möglich ist. Aber das muss strikt unter uns bleiben.«
    »Danke. Vielen Dank, Frau Heber.«
    Daheim las ich sofort die Märchen. Ich kam nur sehr langsam voran, weil ich mir Skizzen machte, zu jeder Geschichte mehrere Skizzen. Ich schrieb mir auch ein paar Sätze heraus, die mir besonders prägnant erschienen und von denen ich hoffte, dass sie mich anregen würden. Am nächsten Morgen wurde ich sehr früh wach undmachte mich sofort wieder an die Lektüre. Die Märchen erschienen mir

Weitere Kostenlose Bücher